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Der weiße Hai Drucken E-Mail
Peter Benchleys Vorlage zum legendären Film Kategorie: Literatur & Comics - Autor: Christian Siegel - Datum: Samstag, 23 August 2025
 
Titel: "Der weiße Hai"
Originaltitel: "Jaws"
Bewertung:
Autor: Peter Benchley
Übersetzung: Egon Strohm
Umfang: 368 Seiten (E)
Verlag: Ullstein (D), Pan (E)
Veröffentlicht: 1974 (D), Februar 1974 (E)
ISBN: 978-0-345-45005-1 (E)
Kaufen: Gebunden (D), Taschenbuch (E)
 

Kurzinhalt: In der kleinen Küstenstadt Amity wird eine junge Frau von einem Hai attackiert und getötet. Der Polizeichef Martin Brody will daraufhin die Strände schließen lassen. Bürgermeister Vaughn kann ihn dann jedoch davon überzeugen, dass es sich hier um einen zwar tragischen, aber auch höchst außergewöhnlichen Unfall gehandelt hat, und die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Hai längst weitergezogen ist. So wie ein Großteil der Gemeinschaft hat Vaughn natürlich auch ein finanzielles Interesse daran, den Vorfall herunterzuspielen, und die Strände offen zu halten: Als Urlaubsort ist Amity nun mal auf den Sommertourismus angewiesen, um wirtschaftlich zu überleben. Letztendlich soll sich die Einschätzung von Vaughn jedoch als falsch erweisen, kommt es doch kurz darauf zu weiteren Hai-Attacken – und Todesfällen. Nun gilt es, den Hai so rasch als möglich zu fangen oder zu töten, damit die Sommergäste nicht völlig ausbleiben. Zu diesem Zweck chartert Martin Brody das Boot des Fischers und Haijägers Quint. Begleitet vom Marinebiologen Matt Hooper ziehen die drei Männer los, um sich dem Ungeheuer aus der Tiefe zu stellen…

Review: Ich habe "Der weiße Hai" vor rund zwanzig Jahren zum ersten und bis vor kurzem auch letztem Mal gelesen. Dabei fand ich es in erster Linie spannend, zu sehen, wie aus dieser Vorlage letztendlich Steven Spielbergs Meisterwerk geschmiedet wurde. Der Roman selbst war zwar auch nicht schlecht, kam an die Filmadaption für mich aber auch bei weitem nicht heran. Pünktlich zum fünfzigjährigen Jubiläum von "Jaws" habe ich mir Peter Benchleys Roman nun ein weiteres Mal vorgeknöpft, und meine Einschätzung von damals hat sich dabei voll und ganz bestätigt. Aus meiner Sicht ist das somit nicht einfach nur einer der tendenziell ja doch eher seltenen Fälle, in dem eine Adaption die Vorlage übertreffen konnte. Ich finde darüber hinaus, dass die Kenntnis des Films – oder noch besser, eine Vorliebe zum Film – den Roman aufwertet. Weil es eben – ähnlich wie wenn man sich einen Roman zu einem Film durchliest, der auf dem Drehbuch basiert – faszinierend ist, die Vorlage zum Film kennenzulernen. Einerseits aufgrund dessen, was aus ihm entnommen wurde, und andererseits auch den Abweichungen, die letztendlich für mich – neben Spielbergs fantastischer Inszenierung, den großartigen schauspielerischen Leistungen, dem wunderbaren zentralen Trio (welches im Film deutlich besser zur Geltung kommt), und der legendären Musik von John Williams – den Film besser machen als die Vorlage.

Dabei stechen vor allem zwei Elemente hervor, die im Roman stark vertreten sind, und im Film ausgespart wurden. Einerseits sind das Vaughns Verbindungen zur Mafia. Diese geben ihm tatsächlich ein nachvollziehbareres Motiv dafür, die Strände unbedingt offen halten zu wollen, da nicht einfach nur seine wirtschaftliche Existenz (und/oder politische Zukunft), sondern potentiell sein Leben auf dem Spiel steht. Insofern kann ich diesem Aspekt grundsätzlich durchaus etwas abgewinnen, da es die Figur greifbarer und zugänglicher macht. Letztendlich ziehe ich aber auch hier die Darstellung aus dem Film vor (zumal Vaughn auch dort kein eindimensionaler Bösewicht ist; dafür sorgt allein schon die Szene im Krankenhaus, mit seiner erschütternden Reaktion, und dem Hinweis an Brody: "My kids were on that beach too."), wo man halt fast notwendigerweise ein bisschen mehr mit Stereotypen arbeiten muss, und Vaughn als Sinnbild für die Profitgier steht. Der zweite ganz große Unterschied ist dann die Affäre zwischen Matt Hooper und Ellen Brody. Auch hier halte ich die Entscheidung, das aus dem Film zu streichen, für richtig. Einerseits, als Matt hier unweigerlich beim Leser viel an Sympathie verliert (Ellen natürlich auch, da diese aber beim Finale dann keine wesentliche Rolle mehr spielt, und nicht in direkter Lebensgefahr ist – wo es halt schon eine Rolle spielt, wie sehr man zum betreffenden Charakter hält – ist es in ihrem Fall nicht so dramatisch). Und andererseits wirkt es ganz allgemein doch wie ein ziemlicher Fremdkörper. Das ist übrigens generell so ein Punkt, der den Film für mich so auszeichnet. Aus meiner Sicht ist das Drehbuch ein Paradebeispiel dafür, wie man einen Roman für eine Film-Umsetzung nicht nur straffen, sondern vor allem auch aufs Wesentliche fokussieren kann. Während die Vorlage nämlich den titelspendenden weißen Hai für lange Zeit aus den Augen verliert, stehen die Bedrohung durch eben dieses Geschöpf, die Auswirkungen auf die Kleinstadt Amity, und der rohe Kampf Mensch gegen Natur (aber auch gegen sich selbst) im Film klar im Mittelpunkt. Dadurch kommt eben auch das zentrale Trio deutlich besser zur Geltung, und werden ihre Differenzen im Film sogar noch einmal besser ausgearbeitet, als im Roman. Und nicht zuletzt Quints tragische Vorgeschichte – die ja auch zu den stärksten Momenten des Films gehört – wertet ihn im Vergleich zur Vorlage (wo dies fehlt – und schmerzlich vermisst wird) nochmal deutlich auf.

Mir fällt gerade auf, dass ich im Review zum Roman mehr über den Film spreche als über die Vorlage. Dies liegt natürlich an enormen kulturellen Abdruck, den Steven Spielbergs Meisterwerk hinterlassen hat. Zwar gelang dies durchaus auch Peter Benchleys Roman, die Schar an Leuten, die den Film entweder damals im Kino, oder aber in den fünf Jahrzehnten danach gesehen haben, ist aber zweifellos ungleich größer, als die Kenner des Romans; insofern sei mir dies verziehen. Aber, um jetzt wirklich auf das Werk zu sprechen zu kommen, welches ja eigentlich Gegenstand dieser Rezension ist: Mit dem Auftakt gelang es Peter Benchley gleich mal, mich zu packen. So wie im Film startet er hier unter der Wasseroberfläche, und aus der Perspektive des Hais. Daraus erzeugt er eine ungeheure Spannung, die dann schließlich im Angriff auf Chrissie Watkins ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Mir gefielen auch die Nachwehen des Angriffs; wie Brody sich dafür einsetzt, die Strände zu sperren, schließlich allerdings aufgrund der Gegenwehr von mehreren Seiten klein beigibt – und sich dabei nicht zuletzt auf die Aussage des Journalisten (und Herausgeber der lokalen Zeitung) Meadows verlässt, dass es laut Auskunft seines Kontaktmanns (eben Matt Hooper) sehr unwahrscheinlich sei, dass so etwas noch einmal vorkommt. Dementsprechend fühlt man nicht nur mit Frau Kintner, sondern auch Marcus Brody mit, wenn sich diese Einschätzung als zu optimistisch herausstellt. Benchley fängt seine widersprüchlichen Gefühle – auf der einen Seite macht er sich natürlich Vorwürfe, andererseits findet er die Art und Weise, wie ihm Mrs. Kintner die Schuld am Tod ihres Jungen gibt, aber auch ungerecht, da die Entscheidung nicht auf seinen Mist gewachsen war – hier sehr gut ein. Im Großen und Ganzen gefiel mir auch der deutlich charakterorientiertere Blick des Romans, von dem insbesondere Martin und Ellen profitieren. Matt bleibt jedoch, obwohl er hier mehr in Erscheinung tritt, recht oberflächlich, und Quint ist ohnehin eigentlich nur eine Randerscheinung.

Der schwächste Teil ist für mich ganz klar der Mittelteil, in dem auch die Perspektive von Martin zu Ellen wechselt. Mehr Charakterorientierung in allen Ehren, aber hier konzentriert sich "Der weiße Hai" einfach viel zu sehr auf das Beziehungsdrama zwischen den beiden, und verliert die Bedrohung durch den Hai – sowohl für Menschenleben, als auch das Überleben von Amity als Urlaubsressort an sich – zu sehr aus den Augen. Es hilft auch nicht, dass ich die sich entwickelnde Romanze zwischen Ellen und Matt teilweise sehr peinlich geschrieben fand. Jedenfalls war das der Teil, wo man den Eindruck gewinnen konnte, dass Peter Benchley hier zwei sehr unterschiedliche Romane zusammengesteckt hat, die aber halt leider nicht wirklich ein stimmiges Ganzes ergeben. Im letzten Drittel dreht "Der weiße Hai" dann aber nochmal merklich auf (wenn er auch dort nie eine ähnliche Spannung erreicht, wie der Film; ein Teilgrund mag daran liegen, dass Quint, Brody und Hooper nicht so lange auf See bleiben, bis sie den Hai gefangen haben – oder umgekehrt – sondern abends immer wieder in den Hafen von Amity zurückkehren, um es am nächsten Tag nochmal zu versuchen). Im direkten Vergleich zwar deutlich kürzer als im Film (wo die Jagd nach dem Hai rund 40% der Laufzeit einnimmt; hier ist es in etwa ein Viertel des Umfangs vom Buch), und nicht ganz so spektakulär, baut sich hier dennoch immer wieder eine nette Spannung auf, und gefällt nicht zuletzt, wie der Hai als fast schon unbezwingbare Naturgewalt dargestellt wird. Sehr packend ist dann auch der Teil, als sich Matt Hooper mit dem Haikäfig ins Wasser begibt (wobei der dann halt wiederum darunter leidet, dass zumindest ich die Figur zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wirklich leiden konnte). Demgegenüber ist der Showdown dann leider sehr enttäuschend. Man kann vom Finale des Films halten was man will, es war aber jedenfalls deutlich dramatischer und spektakulärer als ein Hai, der einfach vor Erschöpfung auf den Meeresboden sinkt.

Bei aller Kritik muss ich Peter Benchleys Roman aber jedenfalls eins zugutehalten: Seine Figuren sind (überwiegend) komplexer, vielschichtiger, und vor allem auch insgesamt problemgebeutelter (was nicht heißen soll, dass die Charaktere im Film unantastbare Heilige waren; dort war aber halt eine gewisse Grundsympathie wichtig, damit wir mit ihnen mitfiebern und im Kampf gegen den Hai auf ihrer Seite stehen). Ja, mir kam vor allem im Mittelteil die Bedrohung durch den Hai viel zu kurz, und auch wenn ich nicht sage, dass Peter Benchley ihn komplett hätte streichen sollen, weil sich sicherlich auch viel Gutes darin befindet, so hätte es in meinen Augen doch auch nicht geschadet, es zumindest zu kürzen. Dennoch sind Film und Roman insofern in einem zentralen Punkt unterschiedlich, als es im Film um den Kampf Mensch gegen Natur geht – und im Roman um den Kampf des Menschen mit sich selbst, und mit seinen niederen Instinkten (also quasi dem Tier in sich) geht. Die Bedrohung durch den Hai ist letztendlich nur eine Verkörperung dieses Elements, eine Externalisierung dieses internen Konflikts. Das Monster ist nicht der Hai, das Monster sind wir. Peter Benchley macht dies in der Art und Weise, wie hier fast alle miteinander umgehen, und wie sie ihren eigenen Bedürfnissen (seien sie nun finanzieller, sexueller oder sonstiger Natur) gegenüber jenen ihrer Mitmenschen stellen, mehr als deutlich. Das mag zwar nicht auf so ursprüngliche Art unterhaltsam und mitreißend sein wie der Film, hat aber definitiv ebenfalls etwas für sich. Insofern, und bei allem Verständnis dafür, dass der Vergleich mit Steven Spielbergs Meisterwerk natürlich heutzutage einen wesentlichen Reiz ausmacht, sich Peter Benchleys Roman vorzuknüpfen, aber: Wenn man es schafft, den Film beim Lesen der Romanvorlage auszublenden, kann die Geschichte auch in dieser Form durchaus gefallen.

Fazit: Davon ausgehend, dass man so wie ich den Roman erst liest, wenn man Steven Spielbergs Meisterwerk bereits kennt, rate ich zu zwei sehr unterschiedlichen Zugängen, die beide jeweils ihren Reiz haben. Entweder man sieht ihn als eine Art "Making Of"-Material, und erfreut sich an den Parallelen und Unterschieden, und nicht zuletzt daran, zu erkennen, wie es den Drehbuchautoren und Spielberg letztendlich gelungen ist, aus dieser Vorlage einen der besten Filme aller Zeiten zu schmieden. Oder aber man blendet die Verfilmung so weit als möglich aus, und geht ohne irgendwelche Erwartungen aus eben diesem an das Buch heran. Weil sonst wird einem das Geschehen hier definitiv zu wenig spannend und/oder spektakulär sein, und sich Benchley insbesondere im Mittelteil viel zu sehr auf das Ehedrama der Brodys konzentrieren – und die Bedrohung durch den Fisch zwischenzeitlich völlig aus den Augen verlieren. Nur halt: Im Gegensatz zu Steven Spielbergs Film geht es hier eigentlich nie wirklich um den Hai an sich. Denn statt des Kampfes des Menschen gegen die Gewalten der Natur steht hier vielmehr der Kampf mit uns selbst im Mittelpunkt. Der Hai ist letztendlich nur die Personifizierung jener animalischen Urtriebe, die uns allen innewohnen. Und erst, als Martin Brody eben diese unterdrückt und sich auf seine Menschlichkeit besinnt, ist ihm der Triumph über die Bestie aus dem Meer (auf allerdings zugegebenermaßen ziemlich enttäuschende Art und Weise) möglich. Insofern ist Peter Benchleys "Der weiße Hai" von vornherein ein gänzlich anderes (und dem Film in meinen Augen sicherlich unterlegenes), aber nicht minder interessantes "Biest".

Bewertung: 4/5 Punkten
Christian Siegel
(Cover © 2024 Pan)





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