Wolfgang Menges zukunftsweisende TV-SatireKategorie: Filme - Autor: Christian Siegel - Datum: Mittwoch, 03 Dezember 2025
Originaltitel:
Das Millionenspiel
Produktionsland/jahr:
D 1970
Bewertung:
Studio/Verleih:
Westdeutscher Rundfunk (WDR)
Regie:
Tom Toelle
Produzenten:
Peter Märthesheimer
Drehbuch:
Wolfgang Menge, nach einer Kurzgeschichte von Robert Sheckley
Filmmusik:
Irmin Schmidt
Kamera:
Jan Kalis
Schnitt:
Marie Anne Gerhardt
Genre:
Science Fiction/Satire
TV-Ausstrahlung BRD:
18. Oktober 1970
Laufzeit:
96 Minuten
Altersfreigabe:
FSK ab 12
Mit: Jörg Pleva, Dieter Thomas Heck, Didi Hallervorden, Theo Fink, Josef Fröhlich, Suzanne Roquette, Annemarie Schradiek, Elisabeth Wiedemann, Andrea Grosske, Friedrich Schütter u.a.
Kurzinhalt:
Der deutsche Privatsender Trans-Europa TV, kurz TETV, hat einen neuen Sendehit: Die Show "Das Millionenspiel". Darin treten Kandidaten – ganz normale Menschen aus der Bevölkerung – zu einem höchst gefährlichen Wettbewerb an. Es muss ihnen gelingen, der berüchtigten, brutalen Köhler-Bande, sieben Tage lang zu entwischen. Dabei müssen sie auch immer wieder bestimmte Kontrollpunkte erreichen – und sich am Ende der sieben Tage im Fernsehstudio einfinden, wo auf sie, wenn sie auch noch den Todeskreisel überstehen, das Preisgeld von einer Million Deutsche Mark wartet. Jedoch: Die Köhler-Bande hat nicht nur den Auftrag, die Kandidaten aufzuspüren, sondern vielmehr, diese vor Ablauf der Frist zu ermorden. In der mittlerweile fünfzehnten Ausgabe der ein Mal im Monat stattfindenden Show hat sich Bernhard Lotz als Kandidat gemeldet. Sechs Tage lang ist er der Köhler-Bande entkommen. Doch nun, am siebenten und letzten Tag, droht ihn das Glück zu verlassen – und er seine Teilnahme am Millionenspiel mit dem Leben zu bezahlen…
Review:
Die Erstausstrahlung von "Das Millionenspiel" war ein bisschen vor meiner Zeit. Insofern hab ich den Skandal damals nicht mitbekommen (und bin, was die Reaktionen auf den TV-Film betrifft, auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen). Ich kann mir aber sowohl vorstellen, dass das damals einige (insbesondere, wenn sie die Ansage der Moderatorin vor dem Film verpassten, und erst zwischendurch mal eingeschaltet haben) für echt hielten, und einerseits empört reagierten, während andere wiederum Kandidat für die nächste Sendung werden wollten (und ich weiß ehrlich gesagt nicht, was mich mehr erschüttert). Jedenfalls liegt in der authentischen Umsetzung – wegen der ich auch durchaus nachvollziehen kann, dass die Show vereinzelt für echt gehalten wurde – eine der größten Stärken dieses Fernsehspiels. Es sieht tatsächlich genau so aus wie eine große Samstagsabend-TV-Show der damaligen Zeit. Auch die Besetzung von Dieter Thomas Heck – damals schon eine TV-Legende – als Moderator war definitiv ein Coup, der viel eben dazu beiträgt (aber auch Dieter Hallervorden besticht, einige Jahre vor seinem Durchbruch als Blödelfigur "Didi", in einer frühen, ernsten Rolle). Und auch die verschiedenen Interviews, die immer wieder eingeblendet werden, und die sehr realistisch wirken, steigern die Authentizität.
Generell sollte sich "Das Millionenspiel" – wie auch die Kurzgeschichte von Robert Sheckley, auf die der TV-Film basiert – als prophetisch erweisen. Einerseits im Hinblick auf die Privatsender (damals im deutschen Fernsehen noch Zukunftsmusik), den Werbeeinschaltungen (die wunderbar übertrieben-satirisch angelegt sind, und dennoch spätere Trends bis zu einem gewissen Grad vorwegnahmen), sowie insbesondere natürlich dem Reality-TV. So weit, dass wir live dabei zuschauen, wie Menschen gejagt und wenn man sie schnappt ermordet werden, sind wir zwar noch nicht. Sehr wohl werden aber seit mindestens rund fünfundzwanzig Jahren (sprich, dem Beginn von "Big Brother"; die Talkshows, die der Ausschlachtung von Personen quasi Tür und Tor öffneten, sind hier somit noch gar nicht berücksichtigt) sowohl ganz normale Menschen als auch vermeintliche Promis zur Unterhaltung des Publikums bloßgestellt. Als jemand, der seit Beginn noch keine Staffel von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" verpasst hat, nehme ich mich aus dieser Kritik auch gar nicht aus. Sendungen wie diese sind quasi moderne Gladiatorenkämpfe – und "Das Millionenspiel" nahm diese Entwicklung vorweg. Generell gelingt es Wolfgang Menge hier ausgezeichnet, auf Robert Sheckleys Kurzgeschichte (mit der Betonung auf Kurz; er liefert hier eher eine – faszinierend-erschreckende – Prämisse, als eine wirkliche Geschichte) aufzubauen. Fast alles, was dort erzählt wird, findet sich auch hier wieder; dies betrifft sowohl bestimmte Momente, als auch beispielsweise die Sendungen, in denen Bernhard Lotz davor angetreten ist. Aufgrund der Kürze der Vorlage war es aber notwendig, die dort erzählte Story zu erweitern, was Menge ebenfalls sehr gut gelingt. Vor allem den Einblick in die Psyche der drei Jäger wusste ich dabei zu schätzen. Und nicht zuletzt das mit dem Todeskreisel am Ende war ein großartiger Einfall – und bescherte "Das Millionenspiel" einen höchst packenden Ausklang.
Womit wir allerdings auch schon die Brücke zu den weniger gelungenen Aspekten geschlagen hätten. Weil abseits dieses Finales hielt sich die Spannung hier doch ziemlich in Grenzen. So gut die Umsetzung in vielerlei Hinsicht auch ist, aber was z.B. Stephen King in "Menschenjagd" (der zweifellos ebenfalls von Robert Sheckleys Geschichte inspiriert war) deutlich besser gelang, ist, dass man sich als Zuschauer:in in die Hauptfigur hineinversetzt, und aus der Prämisse der Jagd eine ungemein packende, paranoide Stimmung aufzubauen. Hier lässt "Das Millionenspiel" leider doch einiges an Potential liegen. Generell merkt man der Produktion an, dass das Geld hier nicht unbedingt locker saß; dementsprechend ist die Action hier doch eher enttäuschend (und auch sehr spärlich gesät). Und im Hinblick auf die Authentizität gibt es leider auch ein großes Manko: Denn manche Kameraaufnahmen, die angeblich von der Crew stammen und in der Show ausgestrahlt werden, sind leider nicht wirklich plausibel (wie z.B., wenn sich Lotz im Haus versteckt, und hinter der Perspektive, von der aus wir das Bild sehen, eigentlich eine Wand ist). Schafft man es, diese Punkte auszublenden, weiß "Das Millionenspiel" aber auch heute noch zu imponieren.
Fazit:
Auch 55 Jahre später weiß die Art und Weise, wie "Das Millionenspiel" Entwicklungen im Fernsehen vorhergesagt hat, zu beeindrucken. Zwar sind wir zugegebenermaßen noch (?) nicht so weit, live dabei zuzuschauen, wie ein Mensch in den Tod getrieben wird, das Bloßstellen sowohl von ganz gewöhnlichen Personen als auch (C-)Promis zur allgemeinen Belustigung des Publikums ist jedoch in unserer heutigen Reality-TV-Welt gang und gäbe. Aber auch die Werbeeinblendungen (wenn auch natürlich ebenfalls satirisch überzeichnet) stechen hervor. Und generell gelang es Wolfgang Menge in meinen Augen sehr gut, auf die Vorlage von Robert Sheckley (die hier insgesamt ziemlich originalgetreu wiedergegeben wird) aufzubauen, wobei es mir vor allem das veränderte Finale im TV-Studio sehr angetan hatte. Der größte Pluspunkt von "Das Millionenspiel" ist für mich aber seine Authentizität, wobei ich vor allem die Besetzung von Dieter Thomas Heck – bereits damals eine Moderatoren-Legende – für einen Geniestreich halte. Die Inszenierung offenbart zwar da und dort – insbesondere was Spannung und Action betrifft – ein paar Schwächen. Insgesamt hat "Das Millionenspiel" für mich aber in den dazwischenliegenden Jahren wenig an Reiz – und Aussagekraft – verloren.