Kurzinhalt:
Schlimm genug, dass der Stiefvater von Elvira und Alma kurz nachdem er ihre verwitwete Mutter Rebekka geheiratet hat, verstirbt. Dann aber stellt sich auch noch heraus, dass Otto gar nicht so vermögend war, wie gedacht – und sie somit, in einer finanziell ohnehin schon angespannten Situation, nun auch noch dessen Tochter Agnes am Hals haben, und irgendwie durchfüttern müssen. Nicht zuletzt deren natürliche Schönheit ist den diesbezüglich nicht ganz so gesegneten Elvira und Alma ein Dorn im Auge. Ihre Mutter setzt daraufhin alles daran, um Elvira mit dem reichen Prinzen Julian zu verheiraten – der ohnehin der große Schwarm ihrer Tochter ist. Um dieses Ziel zu erreichen, unterzieht sich Elvira einigen schmerzhaften Schönheitseingriffen. Am Tag des Balls, auf dem Julian seine Braut auswählen will, verläuft zuerst alles nach Plan – bis auf einmal Agnes die Party crasht…
Review (kann Spoiler enthalten):
Wie der Titel bereits andeutet, und spätestens die Inhaltsangabe verrät: Bei "The Ugly Stepsister" handelt es sich um eine düster-erwachsene Variante des Aschenputtel-Märchens der Gebrüder Grimm (wobei das genau genommen ja eigentlich auch schon eine sehr oage Gschicht' war). Diese gewinnt nicht zuletzt durch den originellen und interessanten Ansatz, die Geschichte nicht aus Sicht von Agnes, sondern eben der "hässlichen Stiefschwester" Elvira erzählt. Schon allein diesen Perspektivwechsel fand ich ungemein spannend, da er – wenn natürlich auch in im Vergleich zum Märchen teils veränderter Form – unsere moralischen Vorstellungen im Hinblick auf die Geschichte, und damit auch unsere Loyalität gegenüber der Hauptfigur auf die Probe stellt. Nicht, dass Elvira hier auf einmal die Heldin und Agnes wiederum die Bösewichtin der Geschichte wäre. Aber Emilie Blichfeldt nimmt die moralische Schwarz/Weiß-Zeichnung des Originals, und ersetzt sie durch eine wunderbare Ambivalenz – was nicht zwingend bedeutet, dass wie Elvira anfeuern und auf ihrer Seite stehen. Aber wir können hier jedenfalls verstehen, was sie antreibt, und in weiterer Folge auch durchaus mit ihr mitfühlen.
Den Film durchzieht dabei von Beginn an eine starke feministische Message. "The Ugly Stepsister" wirft einen überaus kritischen Blick darauf, wie die Gesellschaft damals – und teilweise eben auch noch heute – auf Frauen geblickt hat, was ihre Rolle war, und in welches bestimmte Bild man passen musste, um angesehen zu werden. Wenig überraschend stehen diesbezüglich vor allem die Jugendlichkeit und das Aussehen im Mittelpunkt. Rebekka hat ihre Chance, einen reichen Prinzen zu heiraten, verpasst – und setzt dementsprechend nun ihre eigenen Töchter, insbesondere Elvira, unter Druck, um quasi mit ihr als Stellvertreterin diesen Wunsch doch noch wahr werden zu lassen, und zugleich aus einer prekären finanziellen Lage zu entkommen. Eben dies ist dann der Auslöser von einigen Body-Horror-Elementen, die trotz meiner mittlerweile Jahrzehntelangen Erfahrung mit dem Genre die gewünschte zusammenzuckende Wirkung bei mir nicht verfehlten. Neben der Nasen-OP und dem Bandwurm wird mir insbesondere noch die abschließende Selbstverstümmelung lange in Erinnerung bleiben. Jedenfalls: In der Vermischung von feministisch-sozialkritischen und Body Horror-Elementen hat er mich an Coralie Fargeats letztjährigen Streich "The Substance" erinnert – wobei "The Ugly Stepsister" noch zusätzlich mit der Art und Weise punktet, wie er ein Kindermärchen ins Düstere verzerrt. Dies zeigt sich auch optisch: Mir schien die Inszenierung – ganz bewusst – stark an (vor allem osteuropäische) Märchenklassiker aus den 70ern und 80ern, und hier – no na – insbesondere "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" – angelehnt zu sein. Das einzige, was sich damit ein bisschen spießt – und zugleich mein einziger nennenswerter Kritikpunkt: Die starke Digital- bzw. Camcorder-Optik, die dem Film das Aussehen eines privaten Urlaubsvideos verleiht. Ich bin gegen diese Optik nun mal leider (so wie auch gegen HFR) enorm allergisch. Von diesem Punkt abgesehen fand ich "The Ugly Stepsister" aber fantastisch, wobei es mir neben Story und Inszenierung vor allem auch noch die starke schauspielerische Leistung von Hauptdarstellerin Lea Myren angetan hatte.
Fazit:
Ich gebe zu, aufgrund der starken Digital- bzw. Camcorder-Optik etwas gebraucht zu haben, um in den Film hineinzukommen. Davon abgesehen hatte ich an "The Ugly Stepsisters" aber nichts auszusetzen, und vielmehr viel zu loben. Emilie Blichfeldts Spielfilmdebüt erweist sich als extrem düstere Interpretation des klassischen "Cinderella"-Märchens (weitab von jedem Disney-Kitsch), welches nicht zuletzt vom höchst interessanten Perspektivwechsel enorm profitiert. Thematisch zeigen sich, mit der Kritik am Schönheitswahn, sowie den Body-Horror-Elementen, Parallelen zu "The Substance"; beide Filme haben jedenfalls über die Rolle der Frau in der Gesellschaft enorm viel (kritisches) zu sagen. In jedem Fall gelingt es ihm, dass man mit Elvira von Beginn an mitfühlt, angefangen bei der Reaktion auf ihr Aussehen, über die Operationen beim Schönheitschirurgen, bis hin zur abschließenden Selbstverstümmelung. Die Optik scheint dabei ganz bewusst an den tschechischen Märchenklassiker "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" angelehnt zu sein, was ihm aufgrund des Widerspruchs zwischen visueller Umsetzung und düsterem Inhalt dann noch einmal einen zusätzlichen Reiz gibt. Und auch die Leistung der Darstellerinnen (gendern erübrigt sich hier insofern, als die männlichen Kollegen bis zuletzt recht unscheinbar bleiben) kann nicht hoch genug gelobt werden, wobei insbesondere Lea Myren mit einer Wahnsinnsperformance besticht. Nach diesem ungemein starken Debüt gilt es Emilie Blichfeldt jedenfalls unbedingt im Auge zu behalten.