Mit: Brie Larson, Jacob Tremblay, Sean Bridgers, Joan Allen, Tom McCamus, William H. Macy u.a.
Kurzinhalt:
Vor sieben Jahren wurde die damals siebzehnjährige Joy von Old Nick entführt. Seither wird sie in einem kleinen Schuppen gefangen gehalten. In ihrer Gefangenschaft hat sie auch ein Kind bekommen, Jack, den sie so gut als möglich vor der Tristheit ihrer Existenz beschützt, in dem sie ihm alle möglichen Lügengeschichten erzählt. Nach seinem fünften Geburtstag hält sie ihn jedoch für alt genug, endlich die Wahrheit zu erfahren. Daraufhin schmieden die beiden einen gefährlichen Plan, der ihnen die Freiheit bringen soll…
Spoiler-Warnung
Ich bin sehr unvorbereitet in "Raum" gegangen und habe die Inhaltsangabe bewusst kurz gehalten, um den größten "Twist" – bzw. die Besonderheit – des Films, von dem zumindest ich im Vorfeld nichts wusste, nicht vorwegzunehmen. Allerdings werde ich auf diesen im Zuge meines Reviews eingehen. Wenn ihr den Film ebenfalls so unvorbereitet wie möglich sehen wollt, solltet ihr euch deshalb aufs Lesen des Fazits beschränken.
Review:
Zu Beginn war "Raum" noch genau der Film, den ich mit dem wenigen Vorwissen, dass ich besaß, ehe ich ihn mir angesehen habe, erwartet habe: Eine packende Mischung aus fesselndem Thriller und berührendem Drama, über eine junge Mutter und ihren kleinen Sohn, die von ihrem Peiniger auf engstem Raum zusammenleben müssen. Alles rund um ihr Leben in Gefangenschaft fand ich ungemein bedrückend, und es gab sowohl zahlreiche Momente, die mir unter die Haut gingen, als auch einige ungemein spannende Szenen, wo ich mit den beiden wirklich mitgefiebert und -gelitten habe. Es ist schon lang her, dass ich einzelne Momente derart packend, mitreißend und beängstigend fand – weshalb "Raum" auch ein früher Kandidat für die spannendste Szene des Jahres ist. Durch die Kenntnis, dass es ähnliche Fälle – auch in Österreich – wirklich gab, wurde zudem die erschreckende Wirkung Teils des Films für mich zusätzlich verstärkt. Sehr interessant fand ich auch, dass mich "Raum" auf die eine oder andere diesbezügliche Frage aufmerksam gemacht hat, die ich mir in der Vergangenheit nie gestellt hatte – wie z.B.: Was macht so ein Entführer eigentlich, wenn sein Opfer krank wird, Zahnschmerzen hat, oder ähnliches? Insgesamt war "Raum" jedenfalls sehr erfolgreich darin, mich quasi zum dritten eingesperrten in diesem Schuppen zu machen, und mich ihre Tortur mit- und nachfühlen zu lassen.
Jedoch – und das ist das Bemerkenswerte an "Raum" – wo sich andere Autoren und/oder Filmemacher auf ihr Leben im Bunker beschränkt und ihre letztendliche Flucht als den großen, triumphalen Höhe- und Schlusspunkt des Films inszeniert hätten, um dem Zuschauer mit dem entsprechenden Hochgefühl zurückzulassen, ist "Raum" fast noch mehr als an ihrer Tortur im Raum selbst an der Herausforderung interessiert, nach dieser Erfahrung in ein möglichst normales Leben (zurück)zu finden. Vor allem aus Sicht von Jack ist dies ungemein interessant, immerhin kennt er kein anderes Leben, als jenes im Raum. Auf einmal sind da neue, unbekannte Menschen, viel Licht, ungemein viel Platz – und einfach generell eine ganze, weite Welt um ihn herum. Dass ihm diese Umstellung zu Beginn alles andere als leicht fällt, ist absolut verständlich, und auch wenn ich kein Psychologe bin, wirkte die Art und Weise, wie "Raum" sich diesem Thema näherte, sehr plausibel und authentisch. Aber auch für Joy ist die Rückkehr in ein normales Leben kein Honigschlecken. Sie muss nicht nur mit Ressentiments gegen ihre frühere Freundinnen, die ein normales Leben führen konnten, fertig werden, sondern auch mit Schuldgefühlen sich selbst gegenüber, nicht schon früher bzw. mehr getan zu haben, um zumindest Jack die Flucht und ein normales Leben zu ermöglichen. Nun hat sie die Angst, keine gute Mutter zu sein, und das Leben ihres Sohnes für immer ruiniert zu haben. Verstärkt werden diese Gefühle für ein fieses Interview, das einen überaus kritischen Blick auf die skandalgeilen Medien wirft, denen meist mehr an ihren Quoten als am Respekt gegenüber den Opfern gelegen ist (kleine Randnotiz: Die entsprechenden Interviewszenen ließen mich den österreichischen Journalisten Christoph Feurstein, der Natasha Kampusch nach ihrer Flucht interviewt hat, noch einmal um einiges mehr wertschätzen, als ich das damals schon tat).
Ich habe Emma Donoghues gefeierten Roman nicht gelesen, und kann daher keinen Vergleich anstellen, aber da sie das Drehbuch selbst verfasst hat, darf man wohl von einer ziemlich werkgetreuen Adaption ausgehen. Jedenfalls ist ihr für den Roman bzw. das Drehbuch großes Lob auszusprechen. Gleiches gilt für den Regisseur Lenny Abrahamson, dessen dunkle Komödie "Frank" mir zuletzt ja ebenfalls schon sehr gut gefallen konnte. Letztendlich stehen und fallen solche Dramen aber natürlich in erster Linie mit den schauspielerischen Leistungen – und genau das ist dann auch der Punkt, wo "Raum" so richtig glänzt. Brie Larson wurde bereits für ihre Performance in "Short Term 12", den ich leider bislang immer noch nicht gesehen habe, hochgelobt, und zeigt in "Raum" eine ungemein beeindruckende Leistung, die mich mit ihrer Intensität in den Bann gezogen hat. Möglicherweise ein noch größeres Lob muss jedoch Jacob Tremblay ausgesprochen werden (sowie der Castingagentur, die dieses Talent entdeckt hat), der Jack – wohl eine der herausforderndsten Kinderollen der letzten Jahre – wirklich phänomenal darstellt. Tolle Leistungen von – unter anderem – Joan Allen, William H. Macy und einem ungemein warmherzigen Tom McCamus runden das großartige Ensemble ab. Meine einzigen Kritikpunkte: So originell und lobenswert ich den Zugang von "Raum" auch finde, eine ähnliche Intensität wie in der ersten Hälfte erreichte der Film in meinen Augen danach nicht mehr. Generell hätte ich gerne noch 5-10 Minuten mehr im Raum gehabt, um ihre Tortur noch besser nachfühlen zu können. Und die allerletzte Szene erschien mir etwas gar aufgesetzt und "Hollywood". Allerdings war der Rest des Films für mich herausragend genug, um dafür überwiegend zu kompensieren.
Fazit:
"Raum" beginnt als ungemein packender, bedrückender Thriller, und wandelt sich dann – nach einer für mich unerwarteten Wendung – zu einem zwar nicht mehr ganz so fesselndem, aber immer noch höchst gelungenen und bemerkenswerten Drama. Im Mittelpunkt steht dabei die Tortur von Joy und ihrem kleinen Sohn Jack, und wie diese die Herausforderungen, denen sie sich gegenübersehen, bewältigen. Vor allem in der ersten Hälfte gibt es dabei einige ungemein spannende und beängstigende Momente, während danach die emotionalen Szenen überwiegen – beides hatte jedoch auch mich seinen Reiz. Neben Lenny Abrahamson stilvoller und ruhiger Inszenierung, welche die Geschichte, die Figuren und ihren Leidensweg in den Mittelpunkt rückt, sowie der Handlung an sich (basierend auf Emma Donoghues gleichnamigen Roman, die auch das Drehbuch für den Film verfasst hat), stechen in erster Linie die schauspielerischen Leistungen hervor, wobei mich vor allem Brie Larson und Jacob Tremblay ungemein beeindruckt haben. Trotz ein paar kleinerer Schönheitsfehler ist "Raum" ein außergewöhnliches Thriller-Drama, das sich der Grundthematik zugeneigte Cineasten unbedingt vormerken sollten.