Mit: Daniel Day Lewis, Sally Field, David Strathairn, Joseph Gordon-Levitt, James Spader, Hal Holbrook, Tommy Lee Jones, John Hawkes, Jackie Earle Haley, Bruce McGill, Tim Blake Nelson, Joseph Cross, Jared Harris, Gloria Reuben, Walton Goggins u.a.
Kurzinhalt:
Januar 1865. Der amerikanische Bürgerkrieg spaltet nun schon seit vier Jahren das Land, und hat unzählige Leben gekostet. Präsident Lincoln, der vor kurzem wiedergewählt wurde, wird schon bald seine zweite Amtszeit antreten. Doch auch für die letzten Wochen seiner ersten Amtszeit hat er große Pläne, sieht er doch genau jetzt die Zeit gekommen, um den umstrittenen Zusatzartikel zur Verfassung, der die Sklaverei verbietet, durch den Kongress zu bringen. Da er dafür eine Zweidrittelmehrheit braucht, darf nicht nur kein einziger republikanischer Abgeordneter abspringen, er ist zudem auf ein paar Stimmen der Demokraten angewiesen. Lincoln ist davon überzeugt, dass er diese wenn überhaupt nur jetzt bekommen wird. Es gibt einige demokratische Abgeordnete, die während seiner nächsten Amtszeit nicht in den Kongress zurückkehren werden – und somit nichts zu verlieren haben und es sich leisten könnten, gegen die Linie ihrer Partei abzustimmen. Und so beauftragt er eine Gruppe von Lobbyisten damit, ihm die benötigen zwanzig demokratischen Stimmen zu besorgen. Doch es gibt weitere Komplikationen: Die Konföderation schickt Vertreter in den Norden, um Friedensverhandlungen aufzunehmen. Falls dies publik werden sollte, wird Lincoln niemals die erforderliche Mehrheit zur Abschaffung der Sklaverei bekommen – da ein entsprechender Beschluss den Krieg fast unweigerlich verlängern würde. Und sobald der Krieg vorbei und die Südstaaten wieder in die Union eingegliedert sind, ist die Chance, den Zusatzartikel durchzubringen, ohnehin vorbei – da kein Abgeordneter aus dem Süden dafür stimmen würde. Ein politischer Wettlauf gegen die Zeit beginnt…
Review:
"Lincoln" war für Steven Spielberg eine Herzensangelegenheit. Jahrelang hat er versucht, den Film auf die Beine zu stellen – lange Zeit war z.B. Liam Neeson für die Hauptrolle im Gespräch. Nun hat er sich diesen langgehegten Wunsch endlich erfüllt. Statt eines gewöhnlichen Biopics, das Lincolns politischen Aufstieg und seine Erfolge als amerikanischer Präsident näher beleuchtet, konzentriert sich der Film vielmehr auf einen recht eng gesteckten Zeitraum. "Lincoln" schildert minutiös, wie es zu einem der wichtigsten und wegweisendsten Beschlüsse in der Geschichte der amerikanischen Politik kam – und auch, welcher Preis dafür zu zahlen war. Fast der komplette Film spielt sich in einem einzigen Monat aus Lincolns Leben ab, und gibt somit von diesem entscheidenden Zeitraum zwar ein genaues Bild, lässt es aber teilweise etwas am nötigen Kontext vermissen. Jedenfalls ist es sicherlich hilfreich, im Geschichtsunterricht gut aufgepasst und sich an die amerikanische Geschichte noch halbwegs gut erinnern zu können, ehe man sich in den Kinosaal setzt.
Doch die Fokussierung auf einen kurzen Zeitraum bringt natürlich nicht nur Nach-, sondern auch wesentliche Vorteile. Denn statt einfach "nur" Lincoln ins Zentrum des Geschehens zu rücken, geht es mindestens so sehr um den Zusatz zur Verfassung, der Sklaverei verbietet. "Lincoln" ist nicht einfach nur ein Biopic, sondern vor allem auch ein sehr politischer Film, der sich durchaus kritisch mit dem Thema auseinandersetzt und Lobbyismus, Verhandlungen in Hinterzimmern und die Zahnräder der Macht genau beäugt. Er macht zudem deutlich, dass sich Politik in den letzten Jahrhunderten erstaunlich wenig geändert hat. Immer noch hat der Parteizwang überwiegend Vorrang vor den politischen Interessen, wird die Meinung des anderen denunziert. Steven Spielberg hält hier der amerikanischen Politik der Neuzeit einen Spiegel vor, die ebenfalls allzu oft die Interessen der Partei vor den Interessen des Landes stellt – und zeigt zudem an dieser Sternstunde der amerikanischen Politik, wo aufgrund der Tatsache, dass ein paar Abgeordnete dann doch mehr auf ihr Gewissen als auf die Wünsche ihrer Partei gehört haben, doch noch denkbar knapp Geschichte geschrieben wurde, zugleich auch, dass bzw. wie es anders geht. Trotz dieser Abstimmung, die sicherlich der Höhepunkt des Films ist, sowie den Abgeordneten, Lobbyisten etc., die dabei eine wichtige Rolle gespielt haben, und die man hier näher beleuchtet, steht natürlich in erster Linie Präsident Lincoln im Zentrum des Films, der mit seiner Überzeugung diese Entscheidung durchgepeitscht hat. Vor allem sein Dilemma wird dem Zuschauer sehr gut – und später dann auch in einer sehr drastischen, deprimierenden Szene – vermittelt. Während der Krieg im Winter eher ruht, aufgrund von zugefrorenen Straßen etc., droht es im Frühjahr zu einem weiteren Gemetzel zu kommen. Eben deshalb drängt man ihn dazu, die Vertreter der Konföderation nach Washington zu holen und mit ihnen zu verhandeln. Doch Lincoln weiß, wenn er das tut, wird der Zusatzartikel zur Verfassung nie verabschiedet werden. Was wiegt schwerer? Die Freiheit der afroamerikanischen Bevölkerung, oder das Leben jener Soldaten, die bei einer Fortführung des Krieges den Tod finden werden?
Eben dieses Dilemma wird von Daniel Day-Lewis – in einer weiteren phantastischen, absolut oscar-würdigen Performance – nachvollziehbar und spürbar vermittelt. Generell zeigt er in der Titelrolle eine absolut bestechende Leistung. Immer wieder sehen wir Lincoln dabei, wie er Reden hält und/oder kurze Geschichten erzählt, und dabei seine Zuhörer – so wie auch uns – in ihren Bann zieht; was nicht nur den Worten sondern auch seiner grandiosen Performance zu verdanken ist. Für solch eine legendäre, überlebensgroße geschichtliche Figur braucht es einfach auch einen Schauspieler mit dem entsprechenden Charisma – und den hat Steven Spielberg in Daniel Day-Lewis zweifellos gefunden. Und dabei hatte dieser die Rolle ursprünglich abgelehnt! Insofern ist nicht nur ihm, sondern auch Spielberg für diese Leistung indirekt Tribut zu zollen – da er nicht einfach so aufgeben wollte und es ihm letztendlich doch noch gelang, Day-Lewis davon zu überzeugen, den Part zu übernehmen.
So dominant die Performance von Daniel Day-Lewis auch wieder einmal sein mag, auch unter den NebendarstellerInnen findet sich so manches Highlight. Sally Field musste für diese Rolle, für die sie nicht die erste Wahl war, kämpfen, und beweist mit ihrer Leistung, dass dieser Part für sie eine Herzensangelegenheit war. Sie verleiht einer Figur, die von den Geschichtsbüchern oftmals wenig schmeichelhaft behandelt wird, viele Nuancen, und macht sie uns sympathisch. Die Liste der weiteren Darsteller, die hier ihn mehr oder weniger wichtigen Nebenrollen überzeugen – selbst in den kleinsten Rollen finden sich teilweise noch bekannte Gesichter wie z.B. Gregory Itzin – ist so lang wie hochkarätig, und umfasst u.a. David Strathairn, Tommy Lee Jones, James Spader, Joseph Gordon-Levitt, Hal Holbrook, John Hawkes, Jackie Earle Haley, Bruce McGill, Jared Harris, Adam Driver, Tim Blake Nelson, Gloria Reuben, Walton Goggins, und noch einige mehr; wobei für mich vor allem die ersten drei hervorstachen. Strathairn hat zwar eine etwas unscheinbare Rolle, spielt Lincolns Berater aber phantastisch. Tommy Lee Jones zeigt eine bestechende Leistung, wobei seine Figur zudem enorm von einer Offenbarung gegen Ende des Films profitiert. Und James Spader ist für viele der amüsanteren Momente zuständig (täuscht es mich, oder kommt von ihm das erste "fuck", dass in einem Spielberg-Film zu hören war?). Die Besetzung erwies sich für mich jedenfalls als eine der größten Stärken des Films. Auch das Drehbuch ist sehr gut, und überzeugt mit zahlreichen großartigen Dialogen – und vor allem auch Monologen (selbstverständlich von Lincoln). Im Gegensatz zu "Gefährten", wo Spielbergs Handschrift unverkennbar war, nimmt er sich bei "Lincoln" zurück, und überlässt seiner hochkarätigen Darstellerriege die Bühne. Auch John Williams Score ist eher still und verhalten. Er unterstützt die Emotionalität des Geschehens, ohne dabei zu kitschig und/oder bombastisch zu werden – gerade auch angesichts des "larger than life"-Charakters von Lincoln und der Bedeutung des hier verabschiedeten Zusatzartikels für die Geschichte Amerikas eine interessante Wahl. Sowohl Spielberg, Williams als auch Kameramann Kaminski wollten scheinbar von den schauspielerischen Leistungen und der Geschichte so wenig als möglich ablenken – und verleihen dem Film damit eine Authentizität und Sachlichkeit, die ihn in meinen Augen definitiv aufgewertet hat.
Fazit:
"Lincoln" wird in erster Linie von einer phantastischen, unnachahmlichen Performance von Daniel Day-Lewis in der Titelrolle, sowie den grandiosen Leistungen der zahlreichen hochkarätigen NebendarstellerInnen, getragen. Steven Spielberg, John Williams und Janusz Kaminski nehmen sich – im Vergleich zu z.B. "Gefährten" – diesmal eher zurück, und überlassen den Figuren sowie der Geschichte die Bühne. Das Drehbuch erweist sich dabei als weitere wesentliche Stärke des Films, und gibt Daniel Day-Lewis in zahlreichen Reden und Monologen die Gelegenheit, zu glänzen, Lincolns Charme und Charisma zu zeigen, und damit auch Nicht-Amerikanern verständlich zu machen, was Amerika auch Jahrhunderte nach seinem Tod immer noch so an ihm fasziniert. Und auch wenn die Ereignisse selbst mittlerweile lange in der Vergangenheit liegen, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Spielberg mit diesem Film auch der aktuellen amerikanischen Politik einen Spiegel vorhält, und sie dazu aufruft, sich an jenen ein Beispiel zu nehmen, die das Interesse des Landes und ihr Gewissen gegenüber Parteiinteressen und blindem Gehorsam den Vorzug gegeben haben. Jedenfalls wirkt "Lincoln", obwohl es sich bei ihm um eine Geschichtsstunde handelt, auch heute noch sehr aktuell – nicht zuletzt, da er den Kampf um Gleichberechtigung aller Menschen (egal welcher Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, Religion, sexueller Ausrichtung etc.) behandelt, der leider auch knapp 150 Jahre später immer noch nicht gewonnen ist.