Kurzinhalt:
Georges und Anne sind ein Ehepaar in ihren 80ern, das die traute Zweisamkeit und die über die Jahre hinweg entstandene Vertrautheit genießt. Bis zu jenem Tag, als Anne einen Schlaganfall erleidet, und das Jahrzehnte währende Glück jäh zu zerreißen droht. Doch der Schlaganfall ist nur der Beginn ihrer gemeinsamen Tortur…
Review:
Heutzutage scheint das gemeinsam alt werden immer seltener vorzukommen. Dass auch dieses nicht immer ein Zuckerschlecken ist, und im Endeffekt leider selbst die größte Liebe auf tragische Art und Weise enden muss, zeigt uns Michael Haneke in seinem ergreifenden, schonungslosen Drama "Liebe", in dem zwei Menschen nach einem Schlaganfall zunehmend auseinandergerissen werden. Zuerst ist Anne – nach einer missglückten Operation – nur körperlich beeinträchtig… was für die beiden angesichts ihres Alters allerdings schon beschwerlich genug ist. Dennoch kümmert sich Georges aufopferungs- und liebevoll um seine Frau. Ein zweiter Schlaganfall nimmt Anne dann aber auch ihren Geist. Sie hat gelegentliche helle Momente, doch überwiegend liegt sie apathisch da, nur kurz unterbrochen durch verzweifelte, markerschütternde Hilferufe. Kompromisslos zeigt uns Haneke die Trostlosigkeit ihrer Existenz – und die Hilflosigkeit, die Georges ob ihres Zustandes verspürt. All dies endet dann genau so, wie es enden musste – in der berührendsten und auch mit Abstand besten Szene des Films, die obwohl man in diesem Moment schon fast damit rechnet sehr schockierend ausgefallen ist, und den Zuschauer mit gemischten Gefühlen zurücklassen wird.
Michael Hanekes Regie ist gewohnt stilvoll und unaufgeregt. Er setzt auf fixe Kamerapositionen und verzichtet auf Schwenks, Zooms oder ähnliches. Die Kamera lenkt die die Aufmerksamkeit auf sich, sondern konzentriert sich stets auf die Figuren und die Geschichte, die sie erzählt. Auch auf eine Filmmusik verzichtet er erneut. Dadurch erreicht Haneke einen Realismus und eine Sachlichkeit, welche den Film für mich definitiv aufgewertet hat. Zudem vermeidet er dadurch eine durch übertrieben tränendrückende Inszenierung entstehende Rührseligkeit. Statt auf solche inszenatorische "Tricks" zurückzugreifen, lässt er die Emotionen ganz natürlich auf den Situationen und den Szenen heraus entstehen. Die unaufgeregte Inszenierung legt den überwiegenden Teil der Last auf die Schultern der Schauspieler – die sich dieser Herausforderung mehr als nur gewachsen zeigen. Sowohl Jean-Louis Trintignant als auch Emmanuelle Riva zeigen in schwierigen Rollen phantastische Leistungen, und machen dem Zuschauer ihre jeweilige Tortur spür- und nachvollziehbar. Trintignant lässt keinen Zweifel an seinen Gefühlen für Anne, und lässt trotz der Stärke und Sicherheit die er ausstrahlt in kleinen Gesten, den Augen bzw. der Mimik immer wieder seine Verzweiflung durchscheinen. Riva wiederum gelingt es, uns deutlich zu machen, was genau Anne hier verliert. Zuerst ihre Motorik, ihre Fähigkeit, Klavier zu spielen, und damit auch, Musik – die ihr Leben war – zu genießen. Und schließlich auch ihren Geist. Sie endet an einem Punkt, an dem keiner von uns landen will – nämlich dort, wo sie für ihren Mann nur mehr eine Belastung ist. Wenn der zweite Schlaganfall sie schließlich endgültig niederstreckt, ist es unmöglich, nicht mit ihr mitzufühlen – und zu hoffen, dass einem selbst ein ähnliches Schicksal, egal als unmittelbares Opfer, oder "nur" als Angehöriger, erspart bleibt. Kleine wichtige Nebenrollen kommen darüber hinaus noch Isabelle Huppert und Alexandre Tharaud zu, alle weiteren SchauspielerInnen und/oder Figuren dienen eher der Dekoration.
Dass ich in "Liebe" nicht ganz das Meisterwerk sehen kann, als das ihn viele bezeichnen, liegt an zwei subjektiven Schwächen, die wohl die meisten anderen nicht gestört haben, mir aber leider sehr wohl negativ aufgefallen sind. Die erste ist der Einstieg. Ich reagiere auf solche "Preview"-Szenen – welche uns zu Beginn des Films etwas zeigen, dass sich erst später zutragen wird – mittlerweile allergisch, da ich dieses Stilmittel einfach satt bin. Auch "Liebe" profitiert meines Erachtens nicht von seiner Verwendung, und ich hätte es vorgezogen, die Geschichte ohne dieses Vorwissen zu ihrem unausweichlichen Ausgang verfolgen zu können. Mein zweites Problem ist die sprunghafte Erzählweise. Wir sind bei wichtigen, entscheidenden Ereignissen nicht dabei, sondern erfahren erst nachträglich davon. Dadurch fühlte ich mich teilweise ausgeschlossen, und es fiel mir schwer, so richtig in die Handlung einzutauchen, bzw. mich in die Figuren hineinzuversetzen. Aufgrund dieser beiden – für mich wesentlichen – Schwächen kann ich leider nicht uneingeschränkt in die Jubelklänge einstimmen. Dass Haneke mit "Liebe" aber ein weiteres großartiges, bewegendes Drama gelungen ist, steht auch für mich außer Zweifel.
Fazit:
In seinem neuesten Film erzählt Michael Haneke auf berührende Art und Weise vom Ende einer ein ganzes Leben währenden Liebe – und erinnert uns damit kompromisslos daran, dass alles einmal endet. Die Geschichte von Georges und Anne, und wie ihre Liebe von Krankheit zerrissen wird, ist eine tragische – und zugleich eine leider fast alltägliche. Kompromisslos lässt uns Haneke an beider Schicksal teilhaben – bis zum unausweichlichen, kompromisslosen und trotz seiner Vorhersehbarkeit auch schockierenden Ende. Dass ich in "Liebe" dennoch nicht ganz jenes Meisterwerk sehe, als dass ihn viele andere bezeichnen, liegt an der sich teilweise etwas sprunghaft entwickelnden Handlung, sowie dem wieder einmal spätere Ereignisse vorlagerndem Einstieg. Aspekte, die andere entweder begrüßten oder die ihnen zumindest nicht negativ aufgefallen sind, mich aber leider doch gestört haben – und damit eine bessere Wertung verhindern. Seine Stärken – wie die phantastischen schauspielerischen Leistungen, die Sachlichkeit, mit der Haneke die Ereignisse schildert, sowie vor allem auch die nachhallende Wirkung des Films – kann und will aber auch ich nicht bestreiten. "Liebe" ist zweifellos ein großartiges, bewegendes Drama, dass man als Cineast gesehen haben sollte.