Nervenaufreibend, verstörend, brutalKategorie: Filme - Autor: Christian Siegel - Datum: Donnerstag, 18 Oktober 2012
Martyrs
(Martyrs, F 2008)
Bewertung:
Studio/Verleih:
Canal+/Senator Film
Regie:
Pascal Laugier
Produzenten:
U.a. Richard Grandpierre
Drehbuch:
Pascal Laugier
Filmmusik:
Alex Cortés & Willie Cortés
Kamera:
Stéphane Martin, Nathalie Moliavko-Visotzky & Bruno Philip
Schnitt:
Sébastien Prangère
Genre:
Horror
DVD-Release Deutschland:
16. September 2011
Kinostart Frankreich:
03. September 2008
Laufzeit:
99 Minuten
Altersfreigabe:
Ungeprüft
Mit: Morjana Alaoui, Mylène Jampanoï, Catherine Bégin, Robert Toupin, Patricia Tulasne, Juliette Gosselin, Xavier Dolan, Jean-Marie Moncelet u.a.
Kurzinhalt:
Die 12-jährige Lucie wird von einem Paar gefangen gehalten und gefoltert. Eines Tages gelingt ihr die Flucht. Im Kinderheim lernt sie Anna kennen –und es entsteht eine tief empfundene Freundschaft. 15 Jahre später macht sich Lucie auf, um an ihren Peinigern Rache zu nehmen. Doch wird es ihr damit gelingen, die Dämonen zu besänftigen, die sie seit ihrer Flucht plagen?
Review:
Ganz schön harter Tobak, den uns Pascal Laugier hier zumutet – und ich meine das auf eine positive Art und Weise. "Martyrs" ist ein sehr schwieriger, anstrengender, nervenaufreibender und verstörender Film. Seine größte Stärke waren für mich die Unvorhersehbarkeit und der Abwechslungsreichtum. Die Handlung schlägt gleich mehrere Haken, und was als schlichte Rachefabel beginnt, entwickelt sich in weiterer Folge in viele verschiedene Richtungen – von der ich keine einzige habe kommen sehen. Nach eine Viertelstunde dachte ich, "Ah ok, jetzt weiß ich, worum es im Film geht", und kurz darauf wurde meine entsprechende Erwartung Lügen gestraft. Fast wirkt "Martyrs" ein wenig wie eine Horror-Anthologie, da er mehrere miteinander verknüpfte, aber von Ausrichtung, Stil und Aussage her doch sehr unterschiedliche Horrorgeschichten miteinander kombiniert. Jedenfalls… ca. zur Hälfte des Films bemerkte ich plötzlich, dass ich keine Ahnung habe, wo sich "Martyrs" hinbewegt, und was als nächstes passieren wird. Es ist schon lange her, dass mich ein Horrorfilm ähnlich verunsichert und überrascht hat.*
* = Und nein, selbst "The Cabin in the Woods" zählt hier nicht wirklich, da dort die außergewöhnliche zweite Handlungsebene ja von Beginn an präsent ist, und man sich die Bedeutung des Ganzen früher oder später zusammenreimen kann.
Leider – und das ist mein einziger Kritikpunkt an "Martyrs" – fand ich die große Offenbarung, was genau hier vor sich geht, und die Motivation der Täter, zwar durchaus originell, aber doch auch irgendwie schwer zu schlucken. Traurig aber wahr: Die doch eher schlichten Motive der Täter aus "Hostel" erschienen mir insgesamt nachvollziehbarer und irgendwie realistischer, so erschreckend dieser Gedanke auch ist. Gänzlich überzeugt hat mich diese Auflösung jedenfalls nicht, so ungewöhnlich sie auch gewesen sein mag. Generell denke ich, dass die erste Hälfte, trotz der teils drastischen Szenen im zweiten Teil, die bessere und stärkere war, trotz ihrer höheren Geradlinigkeit. Krampfhaft schlecht reden will ich die zweite Hälfte von "Martyrs" jetzt aber auch nicht, ist es doch zweifellos genau dieser Teil, der dem Film seine außergewöhnliche Note verleiht, und über die mit Abstand verstörendsten Szenen des Films verfügt. Es ist ungemein anstrengend, schockierend und nervenaufreibend, diese Tortur mitverfolgen zu müssen – vor allem auch, da Laugier zuvor das gelungen ist, woran (um ihn erneut als willkürliches Beispiel heranzuziehen) z.B. "Hostel" gescheitert ist, nämlich uns die Opfer sympathisch zu machen. Und auch das Ende gefällt mir sehr gut, zumal es einiges an Interpretationsspielraum offen lässt. Was den ganzen Film über gefallen kann, ist Laugiers stilvolle Inszenierung. Er verzichtet weitestgehend auf Schockeffekte, und präsentiert vielmehr eine dichte Atmosphäre, bzw. im weiteren Verlauf eine düster-deprimierende Stimmung, die von Trost- und Hoffnungslosigkeit geprägt ist. Abschließend dürfen natürlich auch die phantastischen schauspielerischen Leistungen nicht vergessen werden – allen voran von den beiden Hauptdarstellerinnen Morjana Alaoui und Mylène Jampanoï, die von Drehbuch und Regisseur ordentlich in die Mangel genommen werden, und vor allem szenenweise brillieren.
Fazit:
Das hervorstechendste Merkmal von "Martyrs" war für mich weder die schonungslose Brutalität, noch die Motivation der Täter und/oder das Ende. Vielmehr fand ich es beeindruckend, wie es Pascal Laugier hier gelungen ist, dass ich ca. zur Mitte des Films keine Ahnung hatte, was ich vom Rest erwarten soll. Und selbst wenn ich wild geraten hätte, wäre ich nie im Leben darauf gekommen. Eine derartige Rat- und Ahnungslosigkeit hat ja mittlerweile im Horrorgenre Seltenheitswert, und eben dieses Gefühl habe ich zutiefst genossen – selbst wenn die Richtung selbst, die dann eingeschlagen wurde, mich nicht 100%ig überzeugt haben mag, und ich insgesamt die erste Hälfte, auch wenn sie relativ geradlinig war und es an großen Innovationen vermissen ließ, als die Stärkere einschätzen würde. Nichtsdestotrotz macht erst der zweite Teil aus "Martyrs" das verstörend-schockierende Filmerlebnis, dass er ist. "Martyrs" ist ein sehr eigenwilliger Film, der nicht jedem zusagen wird. Doch egal ob man ihn dann hasst oder liebt – man wird ihn so schnell nicht vergessen.