Kurzinhalt:
Lucie beginnt ihre praktische Ausbildung als Krankenpflegerin. Dafür begleitet sie die langjährige Pflegerin Catherine auf ihre tägliche Tour. Als man bei Jessel, einer reichen alten Damen, ankommt, weist Catherine sie eigentlich an, im Auto zu bleiben, doch schließlich siegt die Neugier, und Lucie schleicht sich ins Haus. Dort findet sie Jessel vor – die sich im Koma befindet. Catherine erzählt ihr deren tragische Geschichte, und auch, dass die Familie darauf besteht, dass sie künstlich am Leben gehalten wird. Zudem gäbe es Gerüchte, wonach Jessel irgendwo in der Villa einen Schatz versteckt hält. Als Lucie dies am darauffolgenden Abend ihrem Freund und dessen bestem Freund erzählen, sehen die darin die Chance, ihr Leben endlich auf die Reihe zu bekommen, und ihrem tristen Dasein an der Armutsgrenze zu entkommen. Anfangs sträubt sich Lucie, schließlich willigt sie aber ein, sie zu begleiten, bzw. sie zur Villa der alten Dame zu führen. Der Einbruch gelingt – doch statt einem Schatz, der ihnen ein neues Leben bringt, finden die drei Jugendlichen eine Bedrohung vor, die ihr Tod sein könnte…
Review:
Das mit Abstand hervorstechendste Merkmal dieses französischen Horrorfilms ist seine gefällige visuelle Gestaltung. "Livid" besticht mit einer beeindruckenden Bildästhetik, und präsentiert ein paar wunderschöne, denkwürdige Einstellungen (wobei ich für die beiden Screenshots zum Film bewusst auf eher unbeeindruckendes Bildmaterial zurückgegriffen habe, um euch die optischen Überraschungen, mit denen "Livid" aufwarten kann, nicht zu verderben). Auch abseits der visuellen Umsetzung weiß die Inszenierung überwiegend zu gefallen. "Livid" präsentiert sich überaus stilvoll, und bietet eine schaurig-schöne Stimmung. Schade nur, dass die wohlige Gruselatmosphäre gelegentlich durch den einen oder anderen billigen Schockeffekt durchbrochen wird. Punkte sammelt "Livid" dann außerdem noch für seine Originalität und Eigenständigkeit. Denn was als 08/15 Haunted House-Film beginnt, fügt in weiterer Folge verschiedenste Horrorelemente zu einem außergewöhnlichen – wenn auch leider nicht völlig überzeugendem – Ganzen zusammen.
Womit wir auch schon bei einem wesentlichen Kritikpunkt wären: So originell und unerwartet der weitere Verlauf des Films auch sein mag, ein stimmiges Ganzes ergibt er nicht wirklich. Zudem muss ich gestehen, dass mir der eine oder andere Einfall der Regisseure und Drehbuchautoren dann schon fast wieder etwas zu bizarr war, und sich vor allem mit dem klassischen Grusel-Rest des Films ein wenig gespießt hat. Jedenfalls wurde mir persönlich die Handlung mit der Zeit etwas zu abgefahren und seltsam, und der Film hat mich irgendwie verloren. Ein großer Schwachpunkt ist auch der viel zu ausgedehnte Einstieg. Dieser soll wohl in erster Linie dazu dienen, die Figuren einzuführen, und sie uns sympathisch zu machen, aber es dauert einfach zu lange, bis sie endlich in der Villa ankommen. Generell sind wir hier schon beim nächsten Problem: Denn so sehr sich die Drehbuchautoren und die Schauspieler auch bemühten, den Einbruch mit ihrer sozialen Notlage zu erklären, so ist dies zumindest bei mir nicht wirklich geglückt. Sonderlich sympathisch war mir jedenfalls keine der Figuren – und ein paar saudumme Aktionen nachdem sie eingebrochen sind halfen auch nicht gerade. Das Ende verfügt dann über eine tragisch-bitter-verstörende Note, und weiß wieder zu gefallen, aber der stärkte Teil von "Livid" ist für mich ganz klar das mittlere Drittel. Davor war der Film doch etwas zu zäh, und danach wurde es mir – bis zum dann wieder überzeugenden Ende – etwas zu skurril. Aber: "Votre kilométrage peut Méfiez-vous", wie der Franzose so schön sagt.*
Fazit:
"Livid" beginnt als recht gewöhnlicher, aber zweifelsfrei sehr atmosphärischer Gruselfilm – und wird dann mit jeder Minute immer seltsamer. Die Drehbuchautoren und Regisseure Alexandre Bustillo und Julien Maury ("Inside") lassen sich eine schräge Idee nach der anderen einfallen, und statten "Livid" mit einigen unerwarteten Wendungen und seltsamen Szenen (wie z.B. den Rückblenden) aus. Für meinen Geschmack wurde der Film jedenfalls mit der Zeit dann doch etwas zu "strange". Insgesamt wird die etwas altbackene aber durchaus solide erste Hälfte des Films wohl niemanden hinterm Ofen hervorlocken, und die zweite Hälfte die Zuschauer spalten – in jene, die diese Abweichungen begrüßen, und jene, die mit den hier vorgestellten Ideen und Wendungen wenig bis gar nichts werden anfangen können. Ich sehe mich hier irgendwie in der Mitte, denn so interessant ich einige der späteren Entwicklungen auch gefunden haben mag, insgesamt war "Livid" dann doch etwas zu schräg und seltsam für meinen Geschmack. Über jeden Zweifel erhaben sind allerdings die schauspielerischen Leistungen, und die Inszenierung verströmt – bis auf jene Momente, wo man auf billige Schockeffekte zurückgreift – angenehm altmodische Gruselstimmung. Die größte Stärke ist aber zweifellos die bestechende visuelle Ästhetik. Wer auf eindrucks- und stimmungsvolle Bilder mit bedachter, künstlerischer Farbgebung wert legt, kommt an "Livid" – trotz seiner Schwächen – nicht vorbei.
* = Bevor mir noch jemand mangelnde Französisch-Kenntnisse vorwirft: Das ist natürlich ein Scherz, und die wortwörtliche – und bewusst falsche und sinnbefreite – Übersetzung der amerikanischen Redewendung "Your mileage may wary", was soviel heißt wie "Ihr mögt anderer Ansicht sein".
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