Mit: Florencia Colucci, Abel Tripaldi, Gustavo Alonso & María Salazar
Kurzinhalt:
Laura und ihr Vater übernachten im verlassenen Haus eines Freundes, in dem sie gleich am nächsten Morgen mit der Renovierung beginnen wollen, damit dieser es in weiterer Folge verkaufen kann. Sie sollen es sich nur bequem machen und sich ausruhen, meint ihr Freund. Er würde ihnen in Kürze etwas zu Essen vorbeibringen. Ach ja, und das oberste Stockwerk sollten sie nach Möglichkeit nicht betreten, da dort der Boden beschädigt wäre, und es demnach gefährlich sein könnte. Mit dieser Warnung im Hinterkopf legen sich die beiden hin. Nur kurz darauf hört Laura laute Geräusche, die vom oberen Stockwerk kommen. Während ihr Vater nach oben geht um nachzusehen, was los ist, bleibt Laura alleine zurück…
Review:
60 Minuten lang hatte ich die Hoffnung, mein "Lauf" bei der diesjährigen Viennale (nur sehr gute Filme mit Wertungen von 8 und darüber) würde nicht abreißen, und ich hab mich über die ganzen zwiespältigen Kritiken gewundert. Denn in dieser ersten Stunde habe ich einen der spannendsten, mitreißendsten und beängstigendsten Horrorfilme (zumindest für mich) erlebt. Neben dem Film an sich hatte das sicher auch damit zu tun, wie und wo ich ihn gesehen habe: Um Mitternacht in einem Kinosaal, wobei ich nicht zu weit von der Leinwand weggesessen bin – ich wurde wirklich in die Handlung hineingezogen. Außerdem fühlt man sich in einem Kino einfach ausgelieferter als zu Hause, wo man aufgrund des kleineren Schirms nicht nur nicht so hineingezogen wird, sondern zudem jederzeit die Möglichkeit hat, den Film anzuhalten, die Lautstärke runterzudrehen, oder auch einfach mal nur nach links und rechts zu schauen und sich in Erinnerung zu rufen, dass man eh noch gemütlich zu Hause hockt wo einem nichts passieren kann/wird, usw. Jedenfalls bin ich froh, ihn mir auf der Viennale im Kino angesehen zu haben, obwohl er bereits seit kurzem als Leih-DVD/Blu Ray verfügbar ist.
Wo war ich? Ach ja, den ersten 60 Minuten. Mordsspannend. Hier profitiert "La Casa Muda" enorm von der originell-herausfordernden Inszenierung, ihn in einer einzigen Einstellung ohne jeglichen (zumindest erkennbaren; aber wenn die Filmemacher sagen, sie hätten ihn in einem Take gedreht, will ich ihnen das auch gerne glauben) Schnitt. Es ist mehr als nur ein Gimmick – auch wenn man als Filmfan natürlich nicht umhin kann, die logistische Leistung aller Beteiligten, insbesondere natürlich des Regisseurs, anzuerkennen bzw. sich vor ihnen zu verneigen; wie auch den Darstellern, allen voran Florencia Colucci, die wir quasi mit der Kamera verfolgt haben und die daher keine Sekunde Zeit lang Zeit hatte, aus ihrer Filmfigur zu schlüpfen. Viel wichtiger als diese objektiv gerade auch als Film-Fan beeindruckende Leistung ist aber, was diese Inszenierung bewirkt: Ich wurde in die Handlung des Films förmlich hineingezogen. Ich fühlte mich so, als würde ich neben der Protagonistin in diesem Haus stehen, in denen auf einmal seltsame Geräusche aufkommen und unheimliche Dinge passieren. Und so wie sie bin ich auch ich (die Kamera) in diesem Haus gefangen. Ohne Hoffnung eines kurzen Schnitts auf eine Außenansicht, um kurz durchschnaufen zu können. Eben dies hat bei mir zu einer fast schon unerträglichen Spannung geführt. Teilweise hatte ich mir wirklich schon gewünscht, der Film wäre nach 30 oder 45 Minuten vorbei – ich wollte einfach nur da raus, wollte das es aus ist – nicht weil der Film so schlecht wäre, sondern im Gegenteil, weil ich ihn so beängstigend fand. So ein Gefühl der Bedrohung habe ich bislang selten erlebt (und, noch einmal: Die Art und Weise, wie man ihn sieht, spielt hier sicherlich auch eine Rolle).
Dabei umgeht man zugleich das Problem der üblichen "Found Footage"-Horrorfilme, in denen einer der Protagonisten alles fleißig dokumentiert, dass rund herum die Hölle ausbricht, Leute sterben, und der/die Kameramann/frau hat nix besseres zu tun, als alles "für die Nachwelt" festzuhalten. Stattdessen ist die Kamera hier "nur" ein unbeteiligter Beobachter, wobei es Regisseur Gustavo Hernández perfekt versteht, uns das Gefühl zu geben, mit Laura in diesem Haus gefangen zu sein. Oftmals nutzt er untypische Kameraeinstellungen, und er überlegt sich immer ganz genau, was und wie viel er uns zeigt. Mal zoomt er stark an Laura heran, so dass wir kaum erkennen, was rund um sie herum geschieht – und uns unweigerlich fragen, welche Schrecken wohl abseits unseres Sichtfeldes auf sie – und uns – lauern. Auch darüber hinaus lässt er sich zahlreiche inszenatorische Kniffe einfallen, um eine fast unerträgliche Spannung zu erzeugen – keine davon will ich vorwegnehmen. Und auch wenn er sich überwiegend auf eine spannende Atmosphäre konzentriert, schreckt er auch vor dem einen oder anderen Schockmoment nicht zurück. Diese sind allesamt gut platziert und grandios umgesetzt – vor allem bei einem hat das gesamte Viennale-Publikum aufgeschrien.
Was den Film ebenfalls von "handelsüblichen" Horrorfilmen unterscheidet: Diese geben dir normalerweise kurze bzw. kleine Ventile, um die Anspannung entweichen zu lassen. Einen "falschen" Schockeffekt, wo sich der Schrecken in Wohlgefallen und Gelächter auflöst, da es sich um falschen Alarm gehandelt hat. Oder auch einfach nur eine ruhige Dialogszene zur Charakterentwicklung, eine Exposition-Szene, was auch immer, in der man weiß, man kann sich jetzt mal kurz zurücklehnen und sich entspannen - denn jetzt wird zumindest mal für kurze Zeit nichts passieren. Ähnliche Momente zum Durchschnaufen gibt es bei "La Casa Muda" nicht, was ihn in gewisser Weise sehr anstrengend macht, aber wohl genau deshalb (u.a.) für mich auch ausgezeichnet hat und viel zum Gefühl des ausgeliefert seins beigetragen hat. Ich bin mir allerdings auch dessen bewusst, dass nicht jeder so (positiv) auf ihn reagieren wird. Was mich so hineingezogen hat, nämlich die Echtzeit, und dass ich mich dadurch dass es keinen einzigen Schnitt gab ausgeliefert und ebenfalls in diesem Haus gefangen fühlte, wird sicherlich auf andere langweilig wirken. "The Silent House" ist eben in erster Linie ein "mood-piece", wer es gern etwas expliziter hat bzw. eine deutliche(re) Bedrohung braucht, um sich zu fürchten, dem hat "The Silent House" wohl nur vergleichsweise wenig zu bieten. Stattdessen bezieht er seine Spannung daraus, uns gemeinsam mit Laura in diese nachvollziehbare Situation – allein in einem fremden Haus, voller seltsamer Geräusche und mysteriöser Ereignisse – zu stecken, und fordert uns zugleich laufend dazu auf uns zu fragen, wie wir in ihrer Situation wohl reagieren würden. Dennoch kann ich anerkennen, dass man diese Inszenierung auch langweilig finden kann. Der Einstieg ist noch nicht sehr spektakulär, da die Figuren ja erst zum Haus kommen müssen, und auch danach ist er da es keine Schnitte gibt eben nicht auf die "Highlights" heruntergebrochen, sondern zeigt uns eben auch, was zwischen diesen dramaturgischen Höhepunkten passiert. Was mich aufgrund des gesteigerten Realismus gefangen genommen hat, wie kaum ein anderer Film zuvor, mag genau das sein, was andere an ihm abstößt. Ich kann es zwar absolut nicht verstehen und nachvollziehen, wie man "The Silent House" langweilig finden kann, will meine Augen aber auch nicht vor dieser Möglichkeit verschließen.
Jedenfalls war "La Casa Muda" 60 Minuten lang auf Meisterwerk-Kurs – und dann kommt der Twist, und ich fühlte mich betrogen. Ausgenutzt. Ich werde hier nichts verraten und näher darauf eingehen, was genau passiert – aber es ist ein Twist nach dem man sich ähnlich veräppelt fühlt wie nach einem "alles nur geträumt". Man hat in diesen Film emotional investiert (nämlich mit Angst und Besorgnis) und dann das. Es ist eine Offenbarung, die den Film fast ruiniert. Besonders frustrierend wird es dadurch, das es völlig unnötig war – "La Casa Muda" hat auch so schon toll bzw. sogar um einiges besser funktioniert. Diese überraschende Wendung brauchte es einfach nicht. Gänzlich abstrafen kann ich ihn allerdings trotzdem nicht. Einerseits kann ich einfach die erste Stunde nicht ignorieren, in der mich der Film einfach ungemein gepackt hat, andererseits… so sehr mir der Twist auch nicht gefallen kann, ich kann zumindest anerkennen, was die Filmemacher hier tun wollten. Es steckt eine gewisse Absicht dahinter, die über ein reines "Ha ha – reingelegt! DAMIT habt's jetzt nicht gerechnet!" hinausgeht. Und der kurze Nachschlag nach dem Abspann stimmt einem dann zumindest etwas gnädiger. Trotzdem wäre mir lieber gewesen, man hätte darauf verzichtet…
Fazit:
Mir ist bewusst, dass nicht alle auf "The Silent House" so reagieren werden wie ich. Ich ziehe nun mal generell jene Filme, die vieles der Phantasie des Zuschauers überlassen gegenüber jenen vor, die meinen, alles explizit zeigen zu müssen. Mir liegt eher der atmosphärische Horror – und genau darauf liegt eben auch der Schwerpunkt von "The Silent House". Die langsame Erzählweise, die dank der Echtzeit eben nicht nur auf die absoluten Höhepunkte reduziert wird, mag andere abschrecken und/oder langweilen – für mich ist sie die mit Abstand größte Stärke des Films. Ich empfand das Geschehen dadurch als realer, und fühlte mich stärker in den Film hineingezogen. Da es keinen Schnitt und keinen Zeitsprung gibt, bedeutet das auch: Es gibt kein Entkommen, so wie Laura sind auch wir dem Schrecken dieses ganz und gar nicht stillen Hauses ausgeliefert. So lange sie darin gefangen ist, kann es auch für uns keinen ruhigen Moment geben, in dem wir kurz durchschnaufen können. Keinen kurzen Schwenk nach draußen, oder zu einer Nebenhandlung, und auch keinen kurzen Gag – kein Ventil, über das die unglaubliche Spannung entweichen könnte. Genau deshalb empfand ich ihn schon als fast unerträglich spannend. Die gut platzierten, überaus wirkungsvollen Schockmomente taten ihr Übriges, dass ich mich nach dem ersten lauten Geräusch, dass Laura vom oberen Stockwerk gehört hat, keine Sekunde lang mehr sicher gefühlt habe. Neben der beeindruckenden inszenatorischen Leistung muss hier auch der schauspielerischen Performance von Florencia Colucci Tribut gezollt werden.
Alles in allem war "The Silent House" mehr als eine Stunde lang ein – für mich – perfekter Horrorfilm – ehe der Twist den Film fast ruiniert. Ich fühlte mich verraten, betrogen, und ausgenutzt, nachdem ich so viel investiert und mit den Figuren mitgezittert hatte. Gänzlich abstrafen kann ich "The Silent House" dafür zwar nicht – einerseits, da ich objektiv anerkennen kann, was die Filmemacher mit dieser Offenbarung beabsichtigt hatten, andererseits, da ich die 60 mordsspannenden, atmosphärisch ungemein dichten Minuten zuvor nicht einfach so ignorieren kann – dennoch wäre es mir deutlich lieber gewesen, man hätte ihn sich erspart, und "The Silent House" damit nicht einfach nur zu einer großartigen Horror-Erfahrung, sondern zu einer ansatzweise wiederholbaren großartigen Horror-Erfahrung gemacht. So hinterlässt er leider trotz aller inszenatorischer Brillanz und seiner ungemein dichten Atmosphäre einen bitteren Nachgeschmack. Ewig schade drum!