Die Nacht der Entscheidung
Eine Liebesgeschichte rund ums Ende der Welt Kategorie: Filme - Autor: Christian Siegel - Datum: Donnerstag, 24 Dezember 2020
 
Advents-SPECiAL

 
Die Nacht der Entscheidung
Originaltitel: Miracle Mile
Produktionsland/jahr: USA 1988
Bewertung:
Studio/Verleih: Miracle Mile Productions Inc./Hemdale/Columbia Pictures International Video
Regie: Steve De Jarnatt
Produzenten: U.a. John Daly & Derek Gibson
Drehbuch: Steve De Jarnatt
Filmmusik: Tangerine Dream
Kamera: Theo van de Sande
Schnitt: Stephen Semel & Kathie Weaver
Genre: Science Fiction/Thriller/Romanze
Kinostart Deutschland: 28. September 1989 (BRD)
Kinostart USA: 19. Mai 1989
Laufzeit: 81 Minuten
Altersfreigabe: FSK ab 16
Trailer: YouTube
Kaufen: Blu-Ray, DVD
Mit: Anthony Edwards, Mare Winningham, John Agar, Lou Hancock, Mykelti Williamson, Kelly Jo Minter, Kurt Fuller, Denise Crosby, Earl Boen u.a.


Kurzinhalt: Harry Washello macht gerade in Los Angeles Urlaub. Bei seinem Besuch der La Brea Teergruben lernt er zufällig Julie Peters kennen. Da er sich nicht überwinden kann, sie anzusprechen und auf einen Kaffee einzuladen, meint er, seine Chance verpasst zu haben, dann jedoch wird er auf der Terrasse von ihr gefunden, woraufhin sie die Initiative übernimmt. Man verbringt den Nachmittag zusammen und ist sich auf Anhieb sympathisch. Harry lernt sogar Julies Großeltern kennen – die aufgrund eines dummen Streits seit Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt haben. Man vereinbart, sich um Mitternacht wieder zu treffen, sobald Julies Schicht in einem nahegelegenen Diner vorbei ist. Harry beschließt, sich bis dahin im Hotelzimmer nochmal ein bisschen aufs Ohr zu hauen. Dann jedoch fällt der Wecker aufgrund eines Stromausfalls aus, und statt 23:00 Uhr ist es vielmehr schon 04:00 Uhr, ehe er erwacht. Dennoch eilt er zum Diner, in der Hoffnung, Julie würde immer noch dort auf ihn warten. Als plötzlich die öffentliche Telefonzelle vor dem Diner läutet, hebt Harry ab. Am anderen Ende der Leitung ist ein panischer Mann, der davon spricht, dass die USA gerade ihre Atomraketen gestartet hätten, und der russische Gegenschlag in etwa eineinhalb Stunden erwartet wird. Kurz glaubt Harry, es würde sich nur um einen dummen Scherz handeln. Dann jedoch ist er zunehmend davon überzeugt, dass der dritte Weltkrieg tatsächlich unmittelbar bevorsteht. Nun ist ihm nur mehr eines wichtig: Julie von zu Hause abzuholen, und sich mit ihr in Sicherheit zu bringen, ehe die Raketen einschlagen…

Review: Szenenbild. Zum Abschluss des heurigen Advent-SPECiALs möchte ich euch noch eine kleine Genre-Perle der 80er vorstellen, die hierzulande viel zu wenig bekannt ist (nicht, dass ich mich hier als Überexperten aufspielen will; ich wurde selbst erst vor ein paar Jahren auf ihn aufmerksam). "Die Nacht der Entscheidung", beginnt wie eine klassische romantische Komödie. Junge trifft Mädchen, man ist offenkundig auf der gleichen Wellenlänge, und beschließt, sich zu einem weiteren Date zu treffen. Das mit dem Verschlafen wegen des ausgefallenen Weckers könnte man sich ebenfalls sehr gut in einer romantischen Komödie vorstellen, wo es dann zu amüsanten Missverständnissen usw. führt. Stattdessen schlägt der Film mit dem Anruf eine gänzlich andere – und wenn man sich den Film völlig unvorbereitet ansehen würde und höchst unerwartete – Richtung ein. Für mich liegen im großartigen, irreführenden Aufbau, sowie dann eben dem so faszinierenden wie erschreckenden Konzept rund um den Telefonanruf, die größten Stärken des Films. Mit letzterem dreht der Film dann eben auch so richtig auf. Harrys geschockt-verwirrte Reaktion ist absolut nachvollziehbar. Er weiß anfangs einerseits nicht, was er davon halten soll. Vor allem aber fällt es ihm schwer, sich damit abzufinden, dass die Welt tatsächlich in rund eineinhalb Stunden untergehen könnte. Noch dazu gerade jetzt erst, wo er die Liebe seines Lebens vor wenigen Stunden kennengelernt hat. Und jetzt soll einfach alles vorbei sein?

Generell bezieht der Film viel Reiz aus der Frage, wie man selbst auf so eine Neuigkeit reagieren und sich in weiterer Folge dann verhalten würde. "Die Nacht der Entscheidung" fängt dabei die allgemeine Reaktion über die anderen Leute im Diner sehr schön ein, von Unglauben bis hin zu Panik. Ein weiterer interessanter Punkt, der hinzukommt, ist die Frage, ob der Anruf denn überhaupt "echt" war – oder hat Harry etwa diese Massenpanik völlig umsonst ausgelöst? Immerhin könnte es ja doch nur ein dummer Scherz gewesen sein. Oder vielleicht litt der Anrufer auch unter Wahnvorstellungen. Oder aber, es handelt sich um ein psychologisches Experiment, um zu erforschen, wie Leute auf so eine Nachricht reagieren. Der Möglichkeiten gibt es gar viele, und mit diesen Restzweifeln spielt der Film an einigen Stellen ausgezeichnet (und natürlich, was hier denn nun wirklich genau vor sich geht, soll an dieser Stelle nicht verraten werden). Wunderbar fand ich zudem, wie schnell einzelne Momente hier eskalieren, wobei diesbezüglich insbesondere der kurze Stopp an der Tankstelle hervorsticht. So richtig dreht der Film dann aber erst wieder auf, wenn es Harry gelungen ist, Julie zu erreichen. So ziemlich mein einziger Kritikpunkt folgt unmittelbar darauf, als er ihr nicht gleich sagt, was – seiner Meinung nach – vor sich geht. Die darauffolgenden paar Minuten sind schon ein wenig schräg. Dafür ist das letzte Drittel dann umso mitreißender, und wartet mit einigen ungemein starken und teils emotionalen Szenen auf (wobei insbesondere der Moment im Fahrstuhl hervorsticht; Gänsehaut!). Auch inszenatorisch finden sich dann ein paar Schmankerl (so ist es z.B. bestimmt kein Zufall, dass an einer Stelle die Uhrzeit 5:05 angezeigt wird, was fast wie SOS aussieht); wie ich den Film, in Anbetracht des Budgets, diesbezüglich generell überaus fein fand. Und das Ende ist dann einfach nur… aber das sollt ihr schön selbst herausfinden.

Szenenbild. Zwar merkt man dem Film sowohl sein Alter (wobei ich diesen typischen 80s-Look ja ungemein schätze) als auch das geringe Budget teilweise an. Aber, ganz ehrlich: Mich hat das nicht im Geringsten gestört. Nicht zuletzt, als die (wenigen) Massenszenen sehr gut gemacht sind, und vor allem auch, der Film in einigen Bereichen – wie der langsamen Dämmerung – so viel besser ist als viele andere, teils teurere Filme, wo's gern mal von einer Sekunde auf die nächste plötzlich helllichter Tag ist. Sehr stark ist auch der Score von Tangerine Dream, wobei ich vor allem den Track in der zuvor erwähnten Fahrstuhlszene insofern spannend fand, als dieser dann später bei "Babylon 5" verwendet wurde (nämlich in der Folge "Gefangen im Cybernetz", bei den Flashbacks zur letzten Schlacht im Erd/Minbari-Krieg); und das, obwohl Christopher Franke selbst bei "Die Nacht der Entscheidung" eigentlich gar nicht mitgewirkt hat. Und die Besetzung ist ebenfalls wunderbar. Anthony Edwards und Mare Winningham sind ein ungemein charmantes Pärchen, mit dem man sofort mitfiebert, und in Nebenrollen gibt's dann auch noch das eine oder andere genrebekannte Gesicht – wie Denise Crosby (Tasha Yar aus "Star Trek: Das nächste Jahrhundert"), Earl Boen (der Psychiater aus "Terminator") und Brian Thompson (der außerirdische Kopfgeldjäger aus "Akte X") – zu sehen.

Fazit: "Die Nacht der Entscheidung" ist ein wunderbarer, packender Film, der in erster Linie mit dem interessanten Aufbau – vermitteln die ersten paar Minuten doch noch den Eindruck, es würde sich um eine typische romantische Komödie handeln – sowie dem faszinierenden Grundkonzept rund um den Telefonanruf hervorsticht. Letzteres lädt uns dazu ein, uns zu fragen, wie wir selbst mit so einer Situation umgehen würden. Zudem lässt uns der Film lange Zeit im Unklaren darüber, was genau hier denn nun vor sich geht, und ob der Anruf wirklich ernst gemeint war. Auch daraus bezieht "Die Nacht der Entscheidung" in weiterer Folge einiges an Spannung. Vor allem aber lebt er von der wundervollen Liebesgeschichte zwischen Harry und Julie, die auch einen wunderbaren Kontrapunkt zum Chaos rundherum darstellt. Die sehr guten schauspielerischen Leistungen, das eine oder andere genre-bekannte Gesicht, der stimmungsvolle Synth-Score von Tangerine Dream, sowie die tolle Inszenierung – die nicht zuletzt auch im Hinblick darauf, dass das Geld hier offensichtlich nicht zu locker stand, positiv hervor sticht – werten ihn dann nochmal zusätzlich auf. Für mich ist "Die Nacht der Entscheidung" jedenfalls ein wirklich starker Film mit einigen eindringlichen Momenten, der bei mir – nicht zuletzt in der Art und Weise, wie er uns dazu einlädt, uns selbst zu fragen, was uns im Leben denn eigentlich wichtig/am Wichtigsten ist – noch lange nachgehallt hat. Ganz große Empfehlung!

Wertung:9 von 10 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © 1989 Hemdale Releasing)


Weiterführende Links:
Advent-SPECiAL 2020





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