Les Misérables |
Bildgewaltige und bewegende Musical-Verfilmung
Kategorie:
Filme -
Autor: Christian Siegel - Datum:
Montag, 25 Februar 2013 |
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Kurzinhalt: Frankreich, 1815: Nachdem er seine 19-jährige Strafe als Sklave abgeleistet hat, wird Jean Valjean auf Bewährung entlassen. Doch niemand ist bereit, ihm eine Arbeit und/oder Unterschlupf zu gewähren – da ihn seine Bewährungspapiere als gefährlichen Kriminellen ausweisen. Erst in einer Kirche findet er Unterschlupf – und Erleuchtung. Er beschließt, Jean Valjean hinter sich zu lassen, zu fliehen, und unter neuem Namen ein neues Leben zu beginnen. Acht Jahre später ist er der Leiter einer angesehenen Kleidungsfabrik, und zudem der Bürgermeister einer kleinen Stadt. Als sein früherer Wächter Javert die Stadt besucht, fürchtet Valjean, er könnte auffliegen – weshalb er sich auch nicht groß darum kümmert, als es zu einem Streit zwischen seinen Arbeiterinnen kommt. Der Vorarbeiter entlässt daraufhin Fantine, die verzweifelt versucht, Geld für ihre Tochter Cosette aufzutreiben, die bei Zieheltern aufwächst. Schnell wird Fantine in die düstersten Abschnitte der Stadt – und des Lebens – geworfen, und endet als Prostituierte. Nachdem sie einen aufdringlichen Kapitän angreift, wird Javert auf sie aufmerksam – und auch Valjean. Dieser ist erschüttert, als er erkennt, dass er einen Teil der Schuld an ihrem Schicksal trägt, und will ihr unbedingt helfen. Javert ist jedoch nun davon überzeugt. Valjean endlich gefunden zu haben – und jagt ihn aus der Stadt. Seinem Versprechen an Fantine folgend, flieht Valjean in jene Stadt, in der ihre Cosette zu Hause ist – um sich ihrer anzunehmen. Weitere neun Jahre später steuern die Ereignisse auf ihren Höhepunkt zu… Review: ![]() Womit wir auch schon beim ersten Punkt wären, mit dem ich mich näher beschäftigen möchte. Auf die Gefahr hin, als Tom Hooper-Fan abgeschrieben zu werden (hatte ich doch damals schon bei "Kings Speech" seine Inszenierung, die von anderen als vergleichsweise unspektakulär abgetan wurde, als sehr gelungen und teilweise sogar clever bezeichnet)... aber ich glaube, dass es sich viele zu leicht machen, und ihm nicht jene Anerkennung für diese Verfilmung angedeihen lassen, die er sich meiner bescheidenen Meinung nach verdient. Ja, natürlich profitiert er enorm davon, eine derart tolle, bewegende Geschichte erzählen zu können, sowie vom Musical, dass zu Recht als eines der besten aller Zeiten bezeichnet wird und weltweit unzählige Fans hat. Ja, er musste genau genommen nur die Handlung und die Lieder nehmen, und schon hatte er einen tollen Film. Aber genau das ist doch schon der erste Knackpunkt: Wie viele Verfilmungen von tollen Stoffen kennt ihr, die bei der Übernahme auf die große Leinwand mächtig Mist bauen? Die an und für sich schon perfekte Geschichte verändern, Figuren rauskürzen, andere Figuren hinzufügen, usw. Wie gesagt, ich kenne die Vorlage selbst nicht, und bin hier auf die Meinungen, Kommentare und Erfahrungswerte jener angewiesen, die sowohl entweder a) den Roman oder b) das Musical kennen, und danach den Film sahen – und ihn als sehr werksgetreue Verfilmung bezeichnen. Jedenfalls verdient Tom Hooper schon allein dafür Anerkennung, dass er es nicht vermasselt hat. Er hat die Qualität des Bühnenstücks erkannt, und sehr uneigennützig und uneitel eine möglichst werksgetreue Verfilmung auf die Leinwand gebracht – auch auf die Gefahr hin, sich dem Vorwurf aussetzen zu müssen, dass er in Wahrheit ja gar nicht wirklich etwas geleistet bzw. nichts eigenes hinzugefügt, sondern vielmehr die tolle Arbeit die vor ihm geleistet wurde kopiert hat, und nun von dieser profitiert. Eine Kritik, die eben genau am Kern der Sache vorbeiläuft, und in meinen Augen nicht widersinniger sein könnte. ![]() Zuletzt bedient sich Tom Hooper dann auch noch eines ganz wesentlichen inszenatorischen Kniffs, für den man ihn meines Erachtens nicht genug loben kann. Im Gegensatz zu den meisten Musical-Filmen, bei denen die Lieder vorheraufgenommen und dann während der Dreharbeiten auf dem Set nur mehr eingespielt werden – und die SchauspielerInnen daraufhin zu ihrem Gesang nur mehr die Lippen bewegen – wurden sämtliche Lieder in "Les Misérables" live vor der Kamera aufgenommen. Dies bedeutet zwar, dass die Lieder vielleicht nicht immer ganz so perfekt klingen, und erhöhte natürlich auch den (vor allem gesanglichen) Druck auf die Schauspieler, zahlt sich aber meines Erachtens durch die Authentizität die dadurch gewonnen wird mehr als nur aus. Bei den meisten Musical-Filmen gibt es durch die übliche Vorgehensweise eine gewisse Dissonanz zwischen dem Gesang und dem Schauspiel an sich, dass man durchaus mit dem Effekt von Synchronisationen vergleichen kann, die ja ebenfalls bis zu einem gewissen Grad verfälschen. Manche mögen einwerfen, dass ADR, also die nachträgliche Aufnahme von Dialogen (da der Ton am Original-Schauplatz z.B. nicht verwendet werden kann) gang und gebe ist, doch dort ist die Reihenfolge umgekehrt: Zuerst die Szene, dann der Ton. Der Schauspieler kann sich die Szene anschauen, sich wieder in diese hineinfühlen, und hat zudem seine damalige stimmliche Performance als Vorlage. Wenn man die Lieder zuerst im Studio aufnimmt, braucht es umso bessere SchauspielerInnen, die es vermögen, auch in dieser sterilen Umgebung und ohne "Vorlage" in ihre Stimme die richtigen Emotionen einfließen zu lassen. Nimmt man so wie Hooper diese jedoch zusammen mit der Performance auf, ergeben Mimik, Gestik und Stimme ein stimmiges Gesamtbild. Darüber hinaus setzt Hooper oftmals auf lange Einstellungen, in denen er seien SchauspielerInnen die Emotionen der Szene durchspielen lässt. Dies sorgt dann auch zweifellos zu dem schauspielerischen Höhepunkt des Films, nämlich Anne Hathaways Performance von "I Dreamed A Dream", das komplett ohne einen einzigen Schnitt entstanden ist. Absolut atemberaubend – und jene Szene, die ihr völlig zu Recht in wenigen Stunden den Oscar als beste Nebendarstellerin einbringen wird. ![]() Was den Rest der Besetzung betrifft, sticht natürlich in erster Linie die bereits erwähnte Anne Hathaway hervor. Sehr gut gefallen konnte mir auch Samantha Barks, welche die Rolle der Éponine auch bereits im Musical gespielt hat – und meines Erachtens merkte man durchaus auch, dass die mit der Rolle vertraut ist, bestach ihre Performance doch mit einer Natürlich- und Leichtigkeit. Positiv überrascht war ich auch von Eddie Redmayne, der als Marius sowohl schauspielerisch als auch stimmlich überzeugen kann. Amanda Seyfried leidet etwas darunter, dass ihre Figur wohl die uninteressanteste und die am wenigsten charakterisierte ist, passt aber dennoch perfekt in die Rolle, und bekommt vereinzelte Höhepunkte, in denen sie ihr schauspielerisches und auch gesangliches Talent unter Beweis stellen darf. Vor allem einige hohe Töne von ihr haben mich überrascht. Russell Crowe wurde im Vorfeld teils heftig kritisiert, natürlich nicht für sein Schauspiel, aber für seinen Gesang. Tatsächlich ist er zweifellos der einzige, der gesanglich etwas abfällt. Während es allen anderen verhältnismäßig leicht zu fallen scheint, merkt man ihm an, dass er sich bei seinen Liedern plagt. Und doch würde ich ihn keinesfalls als schlecht bezeichnen. Irgendwie passt der etwas verkrampfte Gesang genau genommen sogar zur Rolle – wie auch seine tiefe Stimme, welche die Autorität seiner Figur wiederspiegelt. Tatsächlich war ich nach Sichtung des Trailers eigentlich am meisten wegen Sacha Baron Cohen und Helena Bonham Carter besorgt. Ersteren kann ich normalerweise überhaupt nicht leiden, und letztere droht es langsam aber sicher mit ihren schrägen Figuren mit wilder Frisur doch ein wenig zu übertreiben. Tatsächlich wirken beide ein wenig wie Fremdkörper in diesem Film – ich denke aber, dass dies weniger an ihnen als an ihren Figuren liegt. Während ansonsten das Drama regiert, sorgen diese beiden für ein bisschen auflockernden Humor – was dem Film letztendlich in meinen Augen durchaus gut tut. Jedenfalls haben mich auch diese beiden in ihren Rollen durchaus überzeugt. ![]() Natürlich gibt es Dinge, die man theoretisch kritisieren kann – wobei ich viele davon als vom persönlichen Geschmack abhängig betrachte. So ist "Les Misérables" natürlich ein waschechtes Musical – mit allem, was damit einhergeht. Gesprochene Texte gibt es selten, was alles wird gesungen, egal ob Monologe, Dialoge, oder auch Gedanken. Vor allem letzteres kann irritierend sein, z.B. wenn Jean Valjean lautstark über Marius singt, während dieser danebenliegt und schläft (und scheinbar nichts hört). Ich persönlich hatte aber kein Problem damit, auch laut gesungene innere Monologe als solche zu erkennen. Obwohl ich normalerweise absolut kein Musical-Fan bin, erst wenige in meinem Leben gesehen habe, und vor allem auch Musical-Filmen gegenüber eher kritisch eingestellt bin, hat mich "Les Misérables" jedenfalls absolut überzeugt. Das heißt aber noch lange nicht, dass das auch für andere mit ähnlichen Bedenken gelten muss. Was ebenfalls dem Bühnenstück entstammt, ist die etwas ungewohnte Aufteilung der Handlung. Die meisten modernen Filme folgen einer dreiaktigen Struktur – "Les Misérables" nicht. Auch dies mag den einen oder anderen stören. Etwas eigenwillig sind sicherlich auch Dinge, wie z.B. dass sich Cosette und Marius auf den ersten Blick unsterblich ineinander verlieben. Diese extrem verkitschte Form der Liebe ist etwas, dass heutzutage in Filmen Seltenheitswert besitzt – im Kontext der Theatralik des Films hatte ich aber kein Problem damit, es zu akzeptieren, und ihre tiefempfundene Liebe nach nur einem Blick als gegeben hinzunehmen. Auch die Länge mögen manche kritisieren. Stimmt schon, man merkt "Les Misérables" – aufgrund der Fülle an Figuren, der Zeitsprünge etc. – seine 2-1/2 Stunden Länge an. Ein wesentlicher Grund dafür ist meines Erachtens aber auch, dass der Film eine emotionale Tour de Force bietet, die "anstrengt", und dafür sorgt, dass man nach einiger Zeit erschöpft ist. Auch dies kann und will ich dem Film nicht vorwerfen, empfand ich doch gerade die Emotionen welcher er geweckt hat als seine wohl größte Stärke. ![]() Fazit: Pfeif auf Objektivität. Ich gebe unumwunden zu, dass die Tatsache, mit der Geschichte – weder als Roman noch als Musical – zuvor vertraut gewesen zu sein, maßgeblichen Einfluss auf meine Begeisterung gehabt haben mag. Doch was auch immer nun genau die Gründe und/oder Voraussetzungen dafür gewesen sein mögen, am Resultat führt kein Weg vorbei, und dieses lautet: "Les Misérables" hat mich umgehauen. Er ist eine unglaubliche emotionale Tour de Force, mit mehr berührenden Momenten, als alle Filme die ich letztes Jahr im Kino gesehen habe zusammengenommen. Und auch wenn ich meine persönliche Meinung noch nie davon abhängig gemacht habe, was andere denken/empfinden – die Tatsache, dass ich seit "Rückkehr des Königs" nicht mehr so viel Geschniefe und Geschneuze in einem Kinosaal gehört habe, spricht dafür, dass ich mit meiner Meinung zumindest mal nicht völlig alleine dastehe. Neben der Geschichte und den Liedern – für die der Film natürlich nur bedingt etwas kann, wo ihm jedoch zugute zu halten ist, die Vorlage nicht zu verhunzen – erwiesen sich für mich als größte Stärken die teils phantastischen schauspielerischen Leistungen, sowie Tom Hoopers Regie; allen voran seine Entscheidung, die Lieder live aufzunehmen erweist sich als Geniestreich. Der einzig für mich relevante Kritikpunkt ist das neue Lied "Suddenly", dass sich nicht wirklich in den Rest der Musik einfügt – wirklicher Beinbruch ist aber selbst das keiner, immerhin reden wir von ganzen zwei Minuten eines über 2-1/2 stündigen Films. Angesichts der Tatsache, dass meine Wertungen immer genre-spezifisch zu verstehen sind, und "Les Misérables" der mit Abstand beste Musical-Film ist, den ich bisher gesehen habe, habe ich jedenfalls kein Problem damit, ihm die Höchstwertung angedeihen zu lassen. Für alle, die sich auf ihn einlassen können, bietet "Les Misérables" in meinen Augen - und Ohren - jedenfalls ganz großes Gefühlskino! Wertung:10 von 10 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © 2013 Universal Pictures)
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