Beasts of the Southern Wild
Bezauberndes, lebensbejahendes Independent-Kino Kategorie: Filme - Autor: Christian Siegel - Datum: Montag, 24 Dezember 2012
 
Oscar-SPECiAL

Beasts of the Southern Wild
(Beasts of the Southern Wild, USA 2012)
 
Beasts of the Southern Wild
Bewertung:
Studio/Verleih: Cinereach/Fox Searchlight/MFA Filmdistribution
Regie: Benh Zeitlin
Produzenten: U.a. Michael Gottwald, Dan Janvey & Josh Penn
Drehbuch: Lucy Alibar & Benh Zeitlin
Filmmusik: Dan Romer & Benh Zeitlin
Kamera: Ben Richardson
Schnitt: Crockett Doob & Affonso Gonçalves
Genre: Drama/Fantasy
Kinostart Deutschland: 20. Dezember 2012
Kinostart UK: 19. Oktober 2012
Laufzeit: 93 Minuten
Altersfreigabe: Ab 12 Jahren
Trailer: YouTube
Kaufen: Soundtrack (CD), Soundtrack (MP3)
Mit: Quvenzhané Wallis, Dwight Henry, Levy Easterly, Lowell Landes, Pamela Harper, Gina Montana u.a.


Kurzinhalt: Die sechsjährige Hushpuppy lebt mit ihrem Vater im "Bathtub". Während sich die meisten Menschen in von Staudämmen geschützte Städte zurückgezogen haben, um die durch das Schmelzen der Eiskappen drohende Flutwelle zu überstehen, denken die Bewohner des Mississippi-Deltas gar nicht daran, ihr zu Hause zu verlassen. Den durch Überschwemmung drohenden "Weltuntergang" ständig vor Augen, bietet man dem Schicksal die Stirn. Doch für Hushpuppy ziehen dunkle Wolken auf: Ihr Vater ist schwer krank; schon bald wird sie ganz auf sich allein gestellt sein. Den drohenden Tod ihres Vaters vor Augen, macht sie sich auf die Suche nach ihrer verschollenen Mutter, die sie bei einem Licht am Horizont wähnt. Dabei muss sie lernen, sich ihren Ängsten zu stellen, und es zuletzt gar mit Bestien aus grauer Vorzeit aufnehmen…

Review: Hushpuppy ist die plausibelste, am besten getroffene Kinderfigur seit einer Ewigkeit.Die meisten Filme – gerade auch aus Hollywood – scheitern daran, wirklich plausible und glaubwürdige Kinderfiguren zu erschaffen. Oftmals handelt es sich bei ihnen einfach nur um kleinere Versionen von Erwachsenen. Oder aber, sie überzeugen mit ungemein viel Witz und einem Wortschatz, den man bei Kindern doch eher selten findet. Oftmals beschränkt man sich nur auf die positiven Seiten von Kindern, und verniedlicht sie bis zum geht nicht mehr. Kinder sollen nun mal unsere Sympathien besitzen – da ist für die harte, kalte Wahrheit, dass auch Kinder keine Engel sind, und nicht nur über Stärken sondern auch Schwächen verfügen, kein Platz. "Beasts of the Southern Wild" bricht mit dieser Tradition: Hushpuppy darf auch wirklich ein Kind sein – mit allem, was damit einhergeht. Sie ist impulsiv, und sagt/tut oftmals Dinge, ohne groß darüber nachzudenken, und ohne sich den Auswirkungen ihrer Worte und Taten bewusst zu sein. Sie ist in mancherlei Hinsicht naiv, da ihr das Wissen und die Erfahrung fehlt, um bestimmte Ereignisse verstehen und richtig einschätzen zu können. Sie ist manchmal irrational, launisch… und auch egoistisch.

Ich bin mir sicher, dass wir uns alle an Ereignisse aus unserer Kindheit erinnern können, wo wir – leider – eine oder mehrere dieser Eigenschaften zur Schau gestellt haben. Wo wir uns anderen gegenüber unfair, stur und uneinsichtig verhalten haben, wir unseren Willen unbedingt durchsetzen wollten, und wir mit unseren Worten oder Taten andere verletzt haben. In Filmen sieht man diese Seite der Kindheit – wobei ich nicht behaupten will, dass diese Eigenschaften nur auf Kinder beschränkt wären – so gut wie nie. Schon allein der Mut, eine wirklich realistische und glaubwürdige Kinderfigur auf die Leinwand zu bringen, zeichnet "Beasts of the Southern Wild" aus, und lässt ihn als wohltuende Ausnahme von der Regel hervorstechen. Hushpuppy ist für mich die plausibelste und ehrlichste Kinderfigur seit einer Ewigkeit, wenn nicht vielleicht sogar aller Zeiten. Sowohl Regisseur und Drehbuchautor Benh Zeitlin als auch die junge Darstellerin Quvenzhané Wallis scheuen sich nicht davor, das volle Spektrum des Kind-seins auszuschöpfen, und dabei eben auch die weniger schönen Aspekte nicht auszusparen. Wobei die Kindheit natürlich nicht nur solche negative Eigenschaften hervorbringt, sondern sich an Kindern auch viel Positives finden lässt. Ihre Neugier. Ihre Weltoffenheit. Ihr Optimismus. Sie sehen die Welt mit anderen, unschuldigeren, unvorbelasteten und hoffnungsfrohen Augen. Auch ist ihre Welt eine viel phantasievollere, voller Magie und Wunder. Jedenfalls handelt es sich bei Hushpuppy um eine Figur, die gerade aufgrund der Ehrlichkeit in ihrer Darstellung für mich von Anfang an eine große Faszination ausgeübt hat, und mich in ihren Bann zog. Und doch ist ihr Handeln, aus der beschränkten (und noch einmal: Ich meine das nicht negativ und/oder abwertend) Sichtweise eines Kindes, absolut verständlich und nachvollziehbar.

So wie Hushpuppy ist auch ihr Vater nicht perfekt.Wobei negative Eigenschaften, wie bereits erwähnt, natürlich längst nicht nur auf die Kindheit beschränkt sind. Auch die Erwachsenen zeigen sich in "Beasts of the Southern Wild" nicht immer von ihrer besten Seite. Hushpuppys Vater ist temperamentvoll und leicht reizbar, was teilweise auch Hushpuppy zu spüren bekommt. So sehr man mit den Bewohnern des Bathtub mitfühlen kann, wenn ihre Welt droht unterzugehen, so muss man doch anmerken, dass sie niemand dazu zwingt, dort zu verbleiben. Es ist ihre eigene Entscheidung, sich nicht in die sichere Stadt zu begeben, mit all ihrer Hektik, sondern ein einfaches, schlichtes und beschauliches Leben abseits der modernen Zivilisation zu führen. Was natürlich ihr gutes Recht ist. Zugleich macht es dies aber auch schwer, eine spätere Tat von ihnen zu entschuldigen – denn: Was können die Menschen in der Stadt dafür? Diese mögen zwar aus Hushpuppys Sicht die Bösen sein, agieren aber in Wahrheit auch nur mit den besten Absichten. Dadurch ergibt sich insgesamt über den ganzen Film und das komplette Figurenspektrum hinweg eine herrliche moralische Ambivalenz, die "Beasts of the Southern Wild" ebenfalls auszeichnet.

Auch die Handlung ist wunderbar. "Beasts of the Southern Wild" erzählt eine Geschichte, wie wir sie so bislang noch nicht kennen, und vermischt verschiedenste Elemente, wie die drohende Apokalypse, die Bewohner im Bathtub, die schwere Krankheit von Hushpuppys Vater, wie sie lernen muss schnell und früh erwachsen zu werden, die drohende Gefahr durch die titelspendenden Bestien, und natürlich auch die Suche nach ihrer Mutter, zu einer faszinierenden, packenden und zauberhaften Reise. Dabei erleben wir die Ereignisse steht aus Hushpuppys Sicht, und damit quasi mit ihren Augen. Der gelungene Voice Over-Kommentar lässt uns zudem an ihren Gedanken und Empfindungen teilhaben, und sorgt dafür, dass wir sie besser kennenlernen und uns stärker mit ihr verbunden fühlen. Zugegeben, nach der tollen Introsequenz mag sich die Handlung ein wenig Zeit lassen, um in Schwung zu kommen. Aber vor allem die letzte halbe Stunde war einfach nur phantastisch, und präsentierte zwei wundervolle Szenen, die ich zu den besten (magischen) Momenten des heurigen Kinojahres zähle. (Achtung, Spoiler!) Einerseits das Aufeinandertreffen mit jener Frau, die gut und gerne Hushpuppys Mutter sein könnte – ob sie es wirklich ist, wird jedoch offen gelassen, und bleibt der Interpretation des Zuschauers überlassen. Und andererseits natürlich die Konfrontation mit den titelspendenden Bestien aus grauer Vorzeit. Auch hier bleibt es dem Zuschauer überlassen, das Gesehene frei zu interpretieren. Für mich persönlich habe ich es eher ausgeschlossen, dass diese Biester aus jahrhundertelanger Gefangenschaft im Eis aufgetaut und just zum Bathtub gereist sind, dennoch kann man die Ereignisse durchaus "wortwörtlich" verstehen, wenn man dies will. Sieht man darin – so wie ich – eine Metapher, lässt sich diese ebenfalls auf vielfältige Art und Weise interpretieren. (Spoiler Ende) Auch dies zähle ich zu den ganz großen Stärken des Films.

Die beeindruckenden Landschaftsaufnahmen tragen viel zum Zauber des Films bei.Eingebettet ist die originelle Handlung in ein nicht minder originelles und unverbrauchtes Setting. Die überschwemmte Landschaft des Mississippi Deltas ist eine phantastische Location, und beschert uns zahlreiche beeindruckende Landschaftsaufnahmen. Der Soundtrack von Benh Zeitlin und Dan Romer ist ebenfalls phantastisch, und zählt zu meinen absoluten Favoriten aus dem heurigen Kinojahr. Benh Zeitlins Inszenierung ist grundsätzlich ebenfalls sehr gut, und beschert zusammen mit der Musik so manchen Gänsehautmoment – zugleich verbinde ich mit dieser aber auch meinen einzigen nennenswerten Kritikpunkt an Film, der auch knapp die Höchstwertung verhindert. Denn leider setzt Zeitlin auf eine Wackelkamera, die nicht zu meinen bevorzugten Inszenierungsstilen gehört. Vor allem zu Beginn ist diese sehr ausgeprägt, und ging mir teilweise doch ordentlich auf die Nerven. Mit der Zeit wurde es entweder besser, oder ich habe mich einfach mit der Zeit daran gewöhnt. Von diesem Kritikpunkt abgesehen ist "Beasts of the Southern Wild" jedoch ein herrliches Kinomärchen voller Magie, welches den Zauber der Kindheit so bestechend vermittelt, wie dies schon lange kein Film mehr vermochte.

Fazit: Erfrischend. Das ist das erste Wort, dass mir zu "Beasts of the Southern Wild" eingefallen ist. In einer Zeit, in der man manchmal das Gefühl hat, man muss Originalität im Kinoprogramm mit der Lupe suchen, bringt Benh Zeitlin frischen Wind ins Genre der… ja in welches Genre eigentlich? In Wahrheit lässt sich sein Erstling nicht in typische Genre-Konventionen zwängen. Er ist Drama, Komödie, Coming of Age-Story, Fantasy und Dystopie in einem. Und vor allem eines: Herzerwärmend. Hushpuppy ist nicht nur die ehrlichste und glaubwürdigste Kindheits-Figur, die uns die Filmwelt seit Ewigkeiten beschert hat, sondern auch eine ungemein sympathische Protagonistin, die die Herzen von Kinobesuchern aus der ganzen Welt im vergangenen Jahr völlig zu Recht im Sturm erobert hat. Benh Zeitlin hat hier auf Anhieb ein phantastisches (im wahrsten Sinne des Wortes) Meisterwerk geschaffen, das mich so verzaubern konnte, wie wenig andere Filme im heurigen Jahr. Wenn nur die Wackelkamera nicht wäre, könnte ich "Beasts of the Southern Wild" die Höchstwertung angedeihen lassen. Eine dringende Sehempfehlung, wenn nicht gar -befehl, gibt es aber auch so. Vor allem jene, welche die ewig gleichen Sequels, Blockbuster etc. beklagen und sich ständig beschweren, dass es im Kino nichts originelles mehr spielt, dürfen sich dieses zauberhafte filmische Märchen nicht entgehen lassen.

Wertung:9 von 10 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © 2012 MFA Filmdistribution)


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