36 Stunden auf Babylon 5 |
Episodennummer: 2x15 Bewertung: Erstausstrahlung USA: 03.05.1995 Erstausstrahlung D: 09.12.1997 (Pro7) Drehbuch: J. Michael Straczynski Regie: Mario DiLeo Hauptdarsteller: Bruce Boxleitner als Captain John Sheridan, Claudia Christian als Lt. Comdr. Susan Ivanova, Jerry Doyle als Michael Garibaldi, Mira Furlan als Delenn, Andrea Thompson als Talia Winters, Stephen Furst als Vir Cotto, Bill Mumy als Lennier, Robert Rusler als Warren Keffer, Andreas Katsulas als G'Kar, Peter Jurasik als Londo Mollari Gastdarsteller: Kim Zimmer als Cynthia Torqueman, Christopher Curry als Senator Quantrell, Granville Ames als Psi Cop, Leslie Wing als Mutter, John Christian Graas als Johnny Denkwürdige Zitate: Sheridan: "When you stumble a lot, you start looking at your feet. We have to make people lift their eyes back to the horizon and see the line of ancestors behind us saying, 'Make my life have meaning'. And to our inheritors before us saying, 'Create the world we will live in'. (Ein Leitspruch, den wir uns wirklich zu Herzen nehmen sollten.) Kurzinhalt: Um den Bewohnern der Erde die Raumstation Babylon 5 näher zu bringen, schickt der Nachrichtensender ISN eine Reporterin auf die Station. Diese soll dort eine Reportage drehen, die sich der Frage widmet, welchen Nutzen Babylon 5 für die Menschheit eigentlich hat – und auch, welche Probleme mit dem Betrieb der Station einhergehen. Um diese Fragen zu ergründen führt sie Interviews mit dem Kommandostab, aber auch mit einigen außerirdischen Botschaftern. Während ihres Aufenthalts wird sie auch unmittelbar Zeuge, wie der Krieg zwischen Narn und Centauri auch die neutrale Raumstation Babylon 5 immer wieder in Gefahr bringt… Erwähnenswerte Synchro-Fehler: Review: In "36 Stunden auf Babylon 5" wird zum ersten – jedoch nicht letzten – Mal mit dem üblichen und gewohnten Erzählschema gebrochen. Vielmehr präsentiert man uns hier eine rund 40-minütige Reportage über Babylon 5, aufgezeichnet für und gesendet auf dem Fernsehsender "Interstellar Network News", kurz ISN, von dem bereits in der ersten Staffel (genauer gesagt der Episode "Ein unheimlicher Fund") eine Reporterin die Station besucht hat. Dieser inszenatorisch höchst interessante Kniff bietet JMS gleich mehrere entscheidende Vorteile. Der offensichtlichste davon ist natürlich, dass es aufgrund der fortlaufenden Handlung für Einsteiger zunehmend schwer wurde, in die Serie hineinzufinden und die komplexen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Völkern und Figuren zu verstehen. "36 Stunden auf Babylon 5" bietet die perfekte Gelegenheit, allfällige Neuankömmlinge auf den aktuellen Stand zu bringen, damit sie den Rest der Serie dann zusammen mit jenen, die von Beginn an dabei waren, genießen können. Doch nicht nur Neueinsteigern werden in der Episode wichtige, interessante Inhalte vermittelt. JMS nutzt die Gelegenheit vielmehr dazu, Hintergrundinformationen einzubauen, die er bisher im Rahmen der Serie nicht vernünftig vermitteln konnte, wie z.B. G'Kars Erzählung, wie es damals dazu kam, dass er sich dem Freiheitskampf gegen die Centauri angeschlossen hat. Vor allem nach Na'Toths Abgang wäre es wohl nur schwer möglich gewesen, diese Geschichte in die Serie einzubauen und zu erzählen, ohne dass es verkrampft und konstruiert wirkt. Abseits der Serienhandlung setzt sich "36 Stunden auf Babylon 5" aber natürlich in erster Linie kritisch mit Medien und ihrer Macht – sowie der damit einhergehenden Verantwortung – auseinander. Zwar ist die Reportage alles in allem durchaus ausgewogen, und bemüht sich, sowohl Befürworter als auch Kritiker zu Wort kommen zu lassen. Dennoch werden in dieser vermeintlichen Objektivität immer wieder propagandistische Inhalte eingebaut, wie z.B. rund um die wenigen terroristischen Freiheitskämpfer auf dem Mars, welche die der Erde wohlgesinnte Mehrheit unterdrücken und in Angst und Schrecken versetzen, angebliche Budgetüberschreitungen der Station, oder auch die laut Meinungsumfragen steigende Beliebtheit von Präsident Clarke. Frei nach dem Motto: Am überzeugendsten serviert man eine Lüge, in dem man sie mit Wahrheit umgibt. Normalerweise muss man Informationen, die man übers Fernsehen erhält, für bare Münze nehmen – außer man setzt sich ausführlich mit dem Thema auseinander und recherchiert unabhängig. Da wir jedoch Babylon 5 und seine Bewohner kennen, und uns auch bestimmte Informationen über mögliche Verschwörungen in der Erdregierung sowie dunklen Machenschaften des Psi-Corps etc. bekannt sind, sind wir im vorliegenden Fall dazu in der Lage, die Lügen und Halbwahrheiten zu erkennen – und damit auch deren perfide Methodik zu durchschauen. Ein diesbezügliches Highlight ist sicherlich die Werbung des Psi-Corps, die uns erlaubt einmal zu sehen, wie das Psi-Corps gerne von der Bevölkerung gesehen werden würde. Selbst darin versteckte, eigentlich erschreckende Informationen, wie das praktisch überall nach latenten Telepathen gesucht wird selbst in Schulen und Kinderkrankenhäusern, werden als positiv und praktisch dargestellt. Das Tüpfelchen auf dem (Ps)i ist dann schließlich die eingestreute unterschwellige Botschaft "Das Psi-Corps ist euer Freund. Vertraut dem Corps". Weitere großartige Einzelszenen sind die bereits angesprochene Erzählung von G'Kar (der uns – ganz im Gegensatz zu Londo – in sein innerstes Blicken und sein wahres Ich erkennen lässt), das köstliche Interview mit Lt. Corwin (mit einer wachsamen Ivanova im Hintergrund), die Erzählung von Dr. Franklin, sowie das Interview von Delenn – wo die Reporterin ihren Wunsch, auf die Menschen zuzukommen, ausnützt und sie ins offene Messer laufen lässt. Vor allem wenn man weiß, welche Opfer Delenn für diese Wandlung erbringen musste, ist es eine ungemein harte und schwierige Szene, doch selbst ohne Kenntnis der Vorgeschichte sollte man sich dabei unwohl fühlen und erkennen, dass die Kamera viel länger auf ihrem Gesicht bleibt, als es der Anstand gebietet. Für mich die größte Stärke der Episode ist jedoch der damit einhergehende Perspektivenwechsel. Bisher waren wir mehr oder weniger mit den Figuren in dieser Metalldose im All gefangen, und erlebten alles nur aus ihrer Sicht. In "36 Stunden auf Babylon 5" sind wir jedoch dazu gezwungen, von außen nach innen zu sehen. Wir sind von vielen Beratungen, Ereignissen und Entwicklungen mehr oder weniger ausgeschlossen, und sehen nur das, was man eben als Außenstehender in dieser Situation zu Gesicht bekommen würde. Einige mag dies frustrieren, da dadurch der im Zentrum stehende Konflikt zwischen Narn und Centauri, was die Waffenlieferungen im Orbit von Babylon 5 betrifft, in den Hintergrund gerät, und wir diese Handlung nur periphär miterleben. Ich halte eben dies aber für die größte Stärke der Episode, und ihr faszinierendsten Element. Zumal wir durch die Art und Weise, wie über die Ereignisse berichtet wird, auch viel über die Zustände auf der Erde erfahren. Denn wie so oft: Viel aussagekräftiger als das, was gesagt wird, ist wie es gesagt wird. Jedenfalls war das ein ungemein interessanter und faszinierender Ansatz – der an den Regisseur und die Schauspieler hohe Ansprüche gestellt hat. Man musste sich völlig von der üblichen Inszenierungsweise lösen, und z.B. immer bedenken, wo man eine Kamera im echten Leben platzieren könnte (statt einfach nur die Wand eines Sets hinauszunehmen z.B.). Auch ein ständiges hin- und herwechseln zwischen zwei Protagonisten, wie es sonst bei einem Dialog möglich ist, hätte hier die Illusion, wirklich mit einem Kamerateam vor Ort dabei zu sein, ruiniert (von den Interview-Szenen natürlich abgesehen). Eben dies bedeutete aber auch wieder, dass viele Szenen ohne jeglichen Schnitt gedreht werden mussten. Beachtlich finde ich diesbezüglich u.a. das Interview von Dr. Franklin, wo Richard Biggs eine bestechende schauspielerische Leistung zeigt. Inszenatorisch am beeindruckendsten ist jedoch zweifelsohne die Ratssitzung, wo die Kamera ohne jeglichen Schnitt zwischen verschiedensten Protagonisten hin- und herschwenkt. Hier fühlt man sich wirklich "mittendrin statt nur dabei". Einfälle wie die Schaulustigen im Hintergrund machen die Illusion dann schließlich perfekt. Ein Zugang, der jedoch nicht nur Auswirkungen auf die Realaufnahmen hatte, sondern auch auf die CGI-Szenen. Denn auch diese konnten nicht so wie gewohnt inszeniert werden, mit einer virtuellen Kamera, die irgendwie im All schwebt und die Ereignisse festhält. Vielmehr musste man so tun, als würde man auf Aufzeichnungen von Sicherheitskameras und Wartungsrobotern zurückgreifen. Die wohl beste und diesbezüglich gelungenste Szene ist gleich zu Beginn der Angriff des Narnschiffs auf den Centauri-Transporter, der so inszeniert wurde, als hätte man ihn mit einer normalen Kamera aus einem herannahenden Shuttle aus gefilmt. Doch auch die späteren Aufnahmen wissen zu gefallen, und vermitteln aufgrund ihrer eingeschränkten Perspektive ein Gefühl von Realismus. Der einzige Haken an der Sache: Aufgrund dieser inszenatorischen Herangehensweise müssen wir bei "36 Stunden auf Babylon 5", von der ISN-Logomusik abgesehen, gänzlich auf die musikalische Untermalung von Christopher Franke verzichten. Gerade auch die Jubelszene in der Kontrollzentrale verliert dadurch etwas an Wirkung. Aufgrund des gesteigerten Realismus und der damit einhergehenden Stärken kann ich es aber in diesem Fall verschmerzen. Fazit: Auch wenn sich "36 Stunden auf Babylon 5" zweifelsohne teilweise an Neueinsteiger richtet, um diese auf den neuesten Stand zu bringen, aber… insgesamt glaube ich, dass die Episode in vielerlei Hinsicht nur für jene so wirklich funktioniert, welche die Serie schon kennen. Denn "36 Stunden auf Babylon 5" zieht für mich viel von ihrem Reiz aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem, was wir wissen, und was hier an Informationen vermittelt wird – und vor allem, wie es vermittelt wird. Erst durch den entsprechenden Wissensvorsprung ist es uns möglich, die Qualität und Objektivität der Reportage zu beurteilen und die Manipulationsversuche zu erkennen. Darüber hinaus bezieht die Episode viel von ihrem Reiz daraus, dass wir dazu gezwungen sind, die Geschehnisse an Bord aus einer neuen Perspektive zu verfolgen – die uns auch aus der einen oder anderen Entwicklung bewusst ausschließt. Zudem gibt die Episode JMS die Gelegenheit, ein paar Informationen zu vermitteln, die er bisher nicht vernünftig untergebracht hat. Die Inszenierung unterscheidet sich notgedrungen ebenfalls stark vom Rest der Serie, und ordnet dem Wunsch nach Realismus alles andere unter – was auch auf die Weltraumszenen Auswirkungen hat und (der einzige echte Nachteil) auch bedeutet, dass wir auf Christopher Franke diesmal fast vollständig verzichten müssen. Insgesamt ist "36 Stunden auf Babylon 5" eine sehr originelle und gelungene Episode, die es uns ermöglicht, die Station und ihre Bewohner mal mit anderen Augen zu sehen. Wertung: 4 von 5 Punkten
Christian Siegel
Mitreden! Sagt uns eure Meinung zu "36 Stunden auf Babylon 5" im SpacePub!Produktionsnotizen: Vom Skript zur Folge: Erneut findet man im Script Book leider nur mehr die Letztfassung des Drehbuchs, weshalb es kaum Unterschiede zur endgültigen Episode gibt. Einzig die Tatsache, dass im Script erwähnt wird, dass Delenn erst nach der Intervention von Sheridan zum Interview bereit war – ein Nebensatz, der schließlich gestrichen wurde; in der fertigen Folge gibt es keine Erklärung für ihren Meinungswandel. Quelle: "Babylon 5: The Scripts of J. Michael Straczynski - Volume 4" Anekdoten zur Produktion der Episode: Quelle: "Babylon 5: The Scripts of J. Michael Straczynski - Volume 4" Das sagen die Schauspieler: Quelle: „Babylon 5: Season by Season-Guides - Volume 2: The Coming of Shadows” Kommentare von JMS (Nachtrag des Übersetzers: Auch auf YouTube sind diese Linkeinblendungen zunehmend in Mode). Und so kommt es, dass eine Botschaft über die Gefahren von Propaganda genau die Art von einseitiger Propaganda enthält, gegen die sie warnt. Symmetrie – man muss sie einfach lieben! Quelle: "Babylon 5: The Scripts of J. Michael Straczynski - Volume 4"
Zusammengestellt und übersetzt von Christian Siegel
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