Die dunklen Seiten des Doctors
Der "Dark Doctor" und seine Finsternis Kategorie: Kolumnen - Autor: Christian Spließ - Datum: Freitag, 29 Dezember 2006
 
Die dunklen Seiten des DoctorsDa steht er, der Doctor. Mit einer Waffe in der Hand, die sich auf einen seiner Erzfeinde richtet - der momentan allerdings alles andere als bedrohlich wirkt und nur die Sonnenstrahlen genießt. In diesem Moment steht alles auf der Kippe, alles wofür der Doctor an sich eigentlich steht: Moral. Ethik. Das Gute an sich. Man sieht, wie es im Doctor kämpft während er Rose zuhört, während sie ihn davon zu überzeugen versucht dass der Dalek keine Gefahr ist, dass er sich verändert hat. Noch ist die Entscheidung des Doctors nicht gefallen, der Zuschauer hält den Atem an - werden die Macher tatsächlich das Bild des guten, gütigen Doctors über den Haufen werfen?

Nach einer längeren Pause kam mit Christopher Ecclestone als Neuntem Doctor ein Doctor auf den Bildschirm zurück, der anders ist als seine Vorgänger. Sicherlich, während all der Regenerationen in denen der Doctor stets die Gestalt und teilweise das Benehmen ändert war er schon alles: Vom jugendlichen Draufgänger über den griesgrämigen Wissenschaftler bis hin zum skurrilen Kauz. Doch dieser Doctor, der mit Rose, dem neuen Companion, die erste Staffel der neuen Serie bestreitet ist anders. Die Gründe, so erfährt es der Zuschauer am Ende der zweiten Folge liegen in einem Krieg, den die Time-Lords, die Rasse des Doctors, gegen einen Feind geführt hat. Und während man sich bis zur sechsten Folgen noch unklar war, wer diese Feinde sein könnten wurde schon in The End of the World deutlich, dass dieser Doctor alles andere als zimperlich ist. Während Rose zu Beginn von ihm erwartet, dass er die Welt rettet - in letzter Minute als strahlender Held eingreift - tut er dies gerade nicht: Am Ende der Folge wird die von der Menschheit verlassene Erde zu Brocken explodiert sein. "The time is up". Nun kann man davon ausgehen dass der Doctor schon etwas weiß, was man in der zweiten Staffel sehen wird, aber dennoch ist es erstmal ungewohnt. Noch heftiger allerdings ist das Verhalten des Doctors gegenüber Cassandra, seiner Gegenspielerin in der zweiten Folge: Roses Bitten um Hilfe für Cassandra verhallen ungehört, denn "all things must die".

Der "Dark Doctor" ist, so erfahren wir in der "Dalek"-Folge der einzige Überlebende der Time-Lords. Und sein Feind, dem er gegenübersteht und den er bis vor kurzem noch verdächtigt hatte Rose ermordet zu haben, ist der Letzte - zumindest zu diesem Zeitpunkt - seiner Art. Es gibt in der Episode einen Dialog, der mehr über den Doctor offenbar als man meint: Als der Doctor zum ersten Mal auf den Metaltron trifft, der sich als Dalek entpuppt, reibt er ihm zwar genüßlich unter die Nase, dass der Dalek der letzte ist, ein Soldat ohne Befehlshaber, aber er offenbart ebenso, dass auch er der letzte Time-Lord ist. Und hier bricht etwas hervor, was den Doctor in dieser ersten neuen Staffel beschäftigen wird: Die Frage nach dem Warum. Warum hat er überlebt? Pures Glück? Zufall? Bestimmung? Warum habe ich überlebt und andere, weit Besseres als ich sind tot?

Jade, die Alien-Frau die von Bäumen abstammt, ahnt, dass die Rastlosigkeit, die Suche nach Gefahren in die der Doctor sich regelrecht zu stürzen scheint - gegenüber Rose sagt er ja in der ersten Folge, sein Leben sei immer so gefährlich - nur dazu dient seine Erinnerung an den Time-War zu verdrängen. Nur nicht dran denken, immer etwas zu tun zu haben - Mechanismen, die man auch als Mensch nur allzugut kennt. All diese Dinge aber brodeln unter der Oberfläche des schelmischen Grinsens, das der Doctor auch an den Tag legen kann und das wird deutlich in der Dialogszene mit dem Dalek, in der zum Schluss der Doctor daran gehindert werden muss eben diesen umzubringen. Zum zweiten Mal ahnt man das Brodeln unter der Oberfläche als Rose und der Dalek ihm gegenüberstehen - der veränderte Dalek, der Roses DNA in sich trägt muss von ihr geschützt werden. Verkehrte Welt: Das Böseste, was das Universum des Doctors hervorbringen konnte wird von der beschützt, die eigentlich an der Seite des Doctors stehen müsste.

Wut, Zorn, Angst - natürlich kannte man das auch von anderen Inkarnationen des Doctors. So ist bei Colin Baker der Humor derart grimmig und zynisch dass man sich manchmal fragt ob die clowneske Kleidung wirklich angemessen ist. Doch der Neunte Doctor ist derart von diesen Selbstzweifeln, der Wut, der Angst geprägt, dass sie einen wesentlichen Teil seiner Persönlichkeit ausmachen. Natürlich gibts auch den "tanzenden Doctor", der "oh, give me a day like this" ausruft während er die Welt rettet, aber diesen Aspekt des Doctors sehen wir in der ersten Staffel nicht gerade häufig. Meist ist der Doctor jemand, der zwischen diesen beiden Polen agiert, gelassen wirkt aber bis zum Ende der Staffel mit sich ins Reine kommen muss.

Man sollte meinen dass nach dem Season-Finale - und nach dem Wechsel zu David Tennant als Zehntem Doctor - diese Düsternis, diese Dunkelheit und dieses Mit-Sich-Ringen, das Fragen nach dem Warum - auf das der Doctor immer noch keine Antwort erhalten hat - abgeschlossen ist. Schließlich hat der neue Doctor einige Qualitäten des Fünften geerbt: Jugendlich, spontan, dynamisch, optimistisch. Aber schon in "The Christmas Invasion" gibt es Stellen, an denen man die Dunkelheit zu sehen bekommt. Etwa wenn der Doctor nach dem Einsetzen der Torchwood-Waffe keine Sekunde zögert die Premierministerin zu diskreditieren - desgleichen gibts in der ersten neuen Folge der zweiten Staffel auf "New Earth" bei der Entdeckung der Versuchkaninchen einen Wutausbruch, der dem von Ecclestone durchaus nahe kommt. Philosophisch wird es im Zweiteiler um "The Satans Pit", auch hier gibt es - etwas beim Abseilen des Doctors in die Dunkelheit der Grube im Gespräch mit Rose - Stellen, bei denen man merkt, dass auch der Zehnte Doctor keineswegs immer der Charmbolzen ist, der er zu sein vorgibt. Diese Nachdenklichkeit tritt gegen Ende der zweiten Staffel aber in den Hintergrund, es scheint als ob der Doctor endgültig mit dem Time-War abgeschlossen hätte - bis er im Finale erneut auf seine Erznemesis stößt. Oder sollte man sagen: Erzgegner? Cyberman, Dalek - beides unangenehme Gesellen, die vom Doctor ernstgenommen werden, aber es scheint als hätte er seine Konflikte überwunden. Kein wutentflammter Monolog wie zum Ende von Bad Wolf, auch sonst ist das Verhalten des Doctors merkwürdig gedämpft, als ob er wirklich mit der Phase seines Lebens abgeschlossen hätte. Dabei ist der Time-War, wie die TARDIS/Rose es am Ende der ersten Staffel sagt keineswegs zu Ende - solange der Doctor und die Daleks existieren, so lange wird es auch kein offizielles Ende geben.

Allerdings: "The Runaway Bride" zeigt, dass da doch noch Dunkelheit im Doctor vorhanden ist. Donna, die "Bride", sagte es ihm auch am Ende der Episode, nachdem wir gesehen haben wie der Doctor mit versteinertem Gesicht regungslos inmitten von Feuer und Wasser steht, fast so wie im entscheidenden Moment von "Dalek" - auch hier stehts für kurze Zeit auf der Kippe, auch hier könnte der Doctor zum blutrünstigen Killer werden, das Potentail dafür wäre vorhanden. Und wie Kenner der Serie wissen gibt es Time-Lords, die durchaus das Zeug zu Bösewichtern haben: The Rani, The Master, The Meddling Monk... Donna jedenfalls sagt, dass der Doctor jemanden brauche. Auf seine Entgegnung, er brauche keinen kommt ihre Entgegnung, dass er jemanden brauche der ihn notfalls stoppen könne. Ein durchaus wahres Wort. Der Zehnte Doctor scheint eine gewisse Balance für sich selbst gefunden zu haben, er hat den Time-War offenbar verarbeitet, aber auch er hat seine dunklen Momente - und gerade dadurch ist er glaubhafter, moderner und dem heutigen Zuschauer näher als jemals zuvor. Vielleicht ist das auch der Grund für seinen Erfolg in den UK, denn trotz der Tatsache dass der Doctor in England zur Kultur gehört - das Remake hätte auch, wie der Film beweist, enorm scheitern können. Dank des "Dark Doctors" und des "Light Doctors with Shadows" allerdings können wir auf die Zukunft, die Gegenwart und die Vergangenheit des Charakters gespannt sein. Schließlich kommt in der dritten Staffel ein neuer Companion dazu und welche Seiten dieser in ihm hervorrufen wird, wird interessant zu beobachten sein...