Tenet |
Nolans Zeitreisethriller als Kino-Testballon
Kategorie:
Filme -
Autor: Christian Siegel - Datum:
Samstag, 05 September 2020 |
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Kurzinhalt: Nachdem er bei einem Einsatz offiziell gestorben ist, wird ein Agent in das größte Geheimnis der Gegenwart eingeweiht: Nämlich, dass wir uns im Krieg mit der Zukunft befinden. In einem Labor zeigt man ihm eine sogenannte invertierte Kugel – die sich in der Zeit rückwärts bewegt. Gleich mehrere dieser Artefakte gehen auf den Waffenhändler Andrei Sator zurück, der, so glaubt man, der wichtigste Verbündete der Gruppierung aus der Zukunft in unserer Gegenwart ist. Der Agent beginnt zu ermitteln, und stößt schließlich auf eine Bedrohung, welche die Welt zu vernichten droht. Um dies zu verhindern, müssen er und seine Verbündeten selbst in die Vergangenheit reisen… Review: Ich finde, in diesem Ausnahmejahr ist es angebracht, vor der Besprechung des ersten großen Blockbusters auf die Umstände einzugehen, unter denen er ins Kino kommt (bei Desinteresse bitte einfach den ersten Absatz überspringen). Ich denke, wir hätten uns 2020 heuer alle anders vorgestellt. Die geschlossenen Kinos sind da angesichts der ganzen anderen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen von Corona natürlich noch das geringste Problem, auch wenn es mich als großen Kino- und Filmfan sicherlich härter trifft als andere (und anderes). Auch die Filmstudios wussten wohl lange nicht so recht, wie sie mit der aktuellen Krise umgesehen sollen. Ich gebe unumwunden zu. Als Sony "Keine Zeit zu sterben" verschoben hat, hielt ich das für eine Überreaktion. Ein bis zwei Wochen später sah die Sache schon ganz anders aus. Jetzt scheint der Trend eher wieder in die andere Richtung zu gehen: Angesichts der zweiten Welle, in der wir uns alle grad befinden (da sich die Hoffnung, die hohen Sommertemperatur würden das Virus eindämmen, leider nicht bewahrheiteten), halte ich die angesetzten größeren Releases im Herbst für recht optimistisch. Insofern ist "Tenet" jetzt wohl für alle Filmstudios, nicht nur Warner, der Testballon, dessen Einspielergebnis man ganz genau beobachten wird, um zu beurteilen, ob es sich lohnt, solch große Blockbuster mitten in einer Pandemie ins Kino zu bringen. Und hier sind wir nun am entscheidenden Punkt angelangt: Ich bin mir nicht sicher, ob "Tenet" als entsprechender Gradmesser wirklich optimal ist. Klar, Christopher Nolan war in den letzten Jahren eine Bank. Selbst ein Kriegsdrama wie "Dunkirk", sonst wohl eher Oscar- als Blockbuster-Material, sollte sich fürs Filmstudio als überaus rentabel herausstellen. Allerdings bin ich der Ansicht, dass "Tenet" qualitativ – leider – in einer andere Liga spielt, sprich: sich sein Einspielergebnis möglicherweise auch ganz abseits von Corona nicht unmittelbar mit einem "Inception", "Interstellar" oder eben auch "Dunkirk" hätte vergleichen lassen. Diese drei halte ich ja, zusammen mit "The Dark Knight", für Nolans bisherige Meisterwerke (und, ganz ehrlich, viele andere Regisseure würden sich einen Haxen ausfreuen, vier solche Kaliber in ihrer Filmographie stehen zu haben; und da sind die ebenfalls guten bis sehr guten "The Prestige", "Memento" und "Batman Begins" noch gar nicht berücksichtigt [und ja, "The Dark Knight Rises" ist hier ganz bewusst nicht erwähnt, den sehe ich nämlich tatsächlich auf dem eher mittel-mäßigen Niveau von "Tenet"]) – mit denen sich "Tenet" in meinen Augen leider nicht wirklich messen kann. Zuerst einmal: Vor allem im ersten Drittel ist das eindeutige der bondigste seiner bisherigen Filme. Einen gewissen 007-Touch hatten die zwar schon öfter, insbesondere das Schneemobil-Finale in "Inception", aber so deutlich wie hier war das noch nie. Es ist auch nicht so, dass ich mit dem Film so rein überhaupt nichts hätte anfangen können. Immerhin habe ich grundsätzlich ja eine Vorliebe für Zeitreisegeschichten, und auch wenn ich denke, dass "Tenet" bei weitem nicht so revolutionär ist, wie Nolan vielleicht selbst glaubt, hat er doch ein paar interessante neue Ansätze, nicht zuletzt, dass Menschen nicht einfach nur in die Vergangenheit reisen, sondern sich vielmehr tatsächlich in der Zeit zurück bewegen (und ja, das ist ein Unterschied). Die betreffenden Sequenzen sind schon ganz cool, bieten den einen oder anderen Augenöffner (nicht zuletzt die Zusammensetzung und sofort darauffolgende Zerstörung eines Gebäudes beim Showdown; wobei meines Erachtens leider nichts an die imposantesten Momente aus "Inception" herankam), und vor allem auch etwas, dass in dieser Form im Kino – zumindest, soweit ich mich erinnern könnte – noch nicht zu sehen war. Zudem muss ich "Tenet" attestieren, (mir) trotz seiner wieder einmal gehobenen Laufzeit nicht langweilig geworden zu sein. Einige der Actionszenen, insbesondere die Autoverfolgungsjagd in der Mitte des Films, waren schon nett anzusehen. Und vor allem Kats Story hat mich durchaus angesprochen. Damit sind wir aber genau genommen auch schon beim ersten großen Haken angekommen: Ich fand weder den namenlosen Protagonisten als solchen sonderlich interessant, noch John David Washington für die Hauptrolle gut gewählt. Was nicht heißt, dass er schlecht, oder gar ein miserabler Darsteller wäre; vielmehr würde ich sogar sagen, dass beides – Schauspielerei und Starpotential – zwei verschiedene paar Schuhe sind, die zwar manchmal Hand in Hand gehen, dies aber nicht unbedingt immer müssen. Es gibt ein paar wundervolle Charakterdarsteller, die trotzdem aus meiner Sicht nicht die nötige Leinwandpräsenz haben, um einen Film zu tragen, und umgekehrt so manchen Leading Man, der jetzt nicht unbedingt Oscarmaterial ist (hier würde ich z.B. einen Arnold Schwarzenegger in den Ring werfen). John David Washington mag ein wirklich talentierter Schauspieler sein – "Tenet" gibt im IMO nicht genug Material, um das ausreichend bewerten zu können – aber für einen Hauptdarsteller fehlt ihm in meinen Augen das gewisse Etwas. Ein Problem, dass er sich übrigens mit seinem "Sidekick" Robert Pattinson teilt (weshalb ich nun nach "Tenet" bezüglich "The Batman" besorgter bin, als ich das davor war, da ich ihn eigentlich grundsätzlich für keinen schlechten Schauspieler halte). Tatsächlich fand ich es fast schon erschreckend, wie die beiden bei ihren gemeinsamen Szenen am Ende von Aaron Taylor-Johnson was Charisma und Ausstrahlung betrifft in ihre Schranken verwiesen wurden. Im Gegensatz zu den beiden war der nämlich diesbezüglich fast schon eine hell strahlende Sonne, der immer wenn er zu sehen war meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Aber auch Kenneth Branagh schlägt sich in einer sehr klischeehaften Rolle (ist er doch ein klassischer Bond-Bösewicht) durchaus wacker. Am besten erging es insgesamt aber wohl, aufgrund der Kombination ihrer Rolle/des Drehbuchs, ihres Talents und ihrer Ausstrahlung, der hünenhaften Elizabeth Debicki. Noch schwerer als die wenig charismatischen schauspielerischen Leistungen der beiden Hauptdarsteller wiegt aber, dass "Tenet" für Leute wie mich, die doch schon den einen oder anderen Zeitreisethriller gesehen haben, da und dort recht vorhersehbar ist. So hatte ich im Hinblick auf die Identität des maskierten Mannes der am Flughafen aus dem Drehkreuz kam schon bald eine Vermutung (und mit bald meine ich im Zuge dieser Szene), die sich letztendlich auch bewahrheiten sollte (und um nicht den Eindruck zu erwecken, ich würde mich als oberschlau hinstellen wollen, sei im Gegenzug darauf hingewiesen, dass ich das mit der Frau am Ende hingegen nicht kommen sah, auch wenn es mir wohl eigentlich schon früher hätte klar sein müssen). Zudem bin ich mittlerweile halt wirklich sehr allergisch, wenn ich den Eindruck habe, dass sich Filme und/oder Serien an den dümmsten ihrer Zuschauer richten, und alles übererklären müssen. Erst kürzlich kam mir irgendwo Schrödingers Katze unter, und ich dachte mir: Echt? Das meint ihr erklären zu müssen? Hier nun trifft es das Großvater-Paradoxon. Ernsthaft: Dann verstehen halt 0,1% eurer Zuschauer die Referenz nicht, und googelt sie im Anschluss an den Film. Big deal. Immerhin soll "Tenet" ja Entertainment sein, nicht Edutainment. Und dann sei auch noch darauf hingewiesen, dass ich mir nicht sicher bin, ob alles (wie z.B. beim rückwärts fahrenden Auto) wirklich immer Sinn ergab – mich der Film aber auch nicht ausreichend motivieren konnte, um das jetzt in Ruhe nochmal bis ins kleinste Detail zu durchdenken. Was eben auch schon so einiges aussagt. Mit dem Score war ich leider auch nicht wirklich glücklich. Ich mag Ludwig Göransson ja grundsätzlich, seine Musik zu "The Mandalorian" hatte es mir z.B. durchaus angetan. Hier schien es mir aber so, als würde er verzweifelt versuchen, Zimmer zu imitieren – nur dass er es dabei leider an dessen Raffinesse mangeln ließ. Seine Komposition ist eine Kakophonie der Percussion, teilweise Richtung Techno gehend (eine Musikrichtung, mit der ich noch nie etwas anfangen konnte), und ohne erkennbares Leitmotiv. Absolut kein Vergleich z.B. zu Zimmers Werk für "Inception", "Interstellar" oder selbst "Dunkirk". Der letzte Punkt ist dann die Action, die ich stellenweise überraschend schwach fand. Die ersten Actioneinlagen sind soweit ok, ohne sonderlich zu glänzen, die bereits angesprochene Verfolgungsjagd war dann ein kleines Highlight (wenn auch sicherlich nicht das Beste, was ich in dieser Hinsicht je gesehen habe), aber vor allem der Showdown enttäuschte. Aufgrund der unterschiedlichen Zeitrichtungen ist dieser einfach nur ein Chaos. Bei "Dunkirk" hat eben das (natürlich ohne die Zeitspielereien) für mich prima funktioniert, weil der Film halt generell die Schrecken des Krieges erlebbar machen wollte. Aber "Tenet" will ja in erster Linie Unterhaltungsfilm sein. Damit mich die Action packt, muss ich aber erkennen können, was vor sich geht, und eben diese Übersichtlichkeit fehlte mir völlig, weshalb ich das alles letztendlich als unbeteiligter Beobachter verfolgte, statt wirklich im Geschehen involviert zu sein. Und wenn das dann just am Showdown passiert, ist das halt ganz besonders ungünstig. Fazit: "Tenet" hat für mich eigentlich im ersten Drittel am besten funktioniert, wo die Zeitreiseelemente erstmal nur angeteasert wurden, und er eine zwar wenig hervorstechende, aber recht schnörkellose und grundsolide "Bond"-Kopie war. Doch mit der Zeit – und das ist in diesem Fall bewusst doppeldeutig gemeint – kamen die Probleme. Die Grundidee hinter den invertierten Gegenständen und Menschen war ja nicht einmal grundsätzlich schlecht, und lieferte in weiterer Folge zweifellos auch den einen oder anderen coolen Moment. Insgesamt war das aber in meinen Augen nicht ganz so clever und/oder revolutionär, wie Nolan vielleicht glaubte, und wenn man schon ein paar Zeitreisethriller gesehen hat, wird man sich das eine oder andere recht bald mal denken können (und damit auch recht behalten). Die Schauspieler fand ich teilweise leider auch schlecht gewählt. John David Washington mag kein schlechter Darsteller sein – sein entsprechendes Talent traue ich mich nur aufgrund von "Tenet" nicht zu beurteilen – aber das Zeug zum Leading Man sehe ich bei ihm nicht. Aber auch Pattison zeigt eine sehr unscheinbare Leistung. Die Action war zudem teilweise sehr chaotisch und damit unübersichtlich. Der Score von Göransson hat mich ebenfalls enttäuscht; er schien mir verkrampft einen auf Zimmer zu machen, jedoch ohne dessen Raffinesse. Am schwersten wiegt aber, dass mich "Tenet" leider sehr kalt gelassen hat. Am meisten fieberte ich noch mit Kat mit, der Rest war mir hingegen herzlich egal. All dies macht "Tenet" nicht zu einem schlechten Film; schon allein, dass mir während der überdurchschnittlich großen Laufzeit nie langweilig wurde, rechne ich ihm hoch an. Ich fürchte aber, nach diesem doch eher enttäuschenden Eintrag muss ich mich aus dem Kreis der "In Nolan we trust"-Jünger verabschieden. Wertung:5 von 10 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © 2020 Warner Bros.)
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