Under the Skin
Jonathan Glazers kontroverses SF-Meisterwerk Kategorie: Filme - Autor: Christian Siegel - Datum: Montag, 01 Dezember 2014
 
Advents-SPECiAL

 
Under the Skin
Originaltitel: Unter the Skin
Produktionsland/jahr: UK/USA/CH 2013
Bewertung:
Studio/Verleih: UK Film Council/Senator Film
Regie: Jonathan Glazer
Produzenten: U.a. Nick Wechsler & James Wilson
Drehbuch: Jonathan Glazer & Walter Campbell, nach dem Roman von Michel Faber
Filmmusik: Mica Levi
Kamera: Daniel Landin
Schnitt: Paul Watts
Genre: Science Fiction/Thriller
DVD-Release Deutschland: 10. Oktober 2014
Kinostart UK: 14. März 2014
Laufzeit: 108 Minuten
Altersfreigabe: FSK ab 16
Trailer: YouTube
Kaufen:Blu-Ray, DVD
Mit: Scarlett Johansson, Jeremy McWilliams, Lynsey Taylor Mackay, Dougie McConnell, Kevin McAlinden, D. Meade, Andrew Gorman, Joe Szula, Krystof Hádek u.a.


Kurzinhalt: Irgendwo in Schottland: Eine namenlose, attraktive junge Frau liest auf der Straße Anhalter auf, verführt sie, und bringt sie zu sich nach Hause. Doch haben sie ihr Haus einmal betreten, kommen sie nie wieder heraus. Unerbittlich setzt sie ihre Mission fort – bis ein Ereignis sie eines Tages dazu bringt, eine Reise der Selbstfindung zu beginnen…

Review: Szenenbild. Im Gegensatz zu den meisten von euch hatte ich das große Glück, "Under the Skin" im Kino zu sehen – und das sogar gleich zwei Mal! Das erste Mal sah ich ihn im Mai im Zuge des /slash ½-Kurzfestivals – wo er auch bis zuletzt mein absolutes Highlight des Festivals geblieben ist (und im Übrigen auch von keinem Film des "vollen" Festivals im September abgelöst wurde), und nach wie vor zu meinen absoluten Favoriten des heurigen Kinojahres zählt. Dank des Gartenbaukinos, das den Film für einen zwar limitierten aber nichtsdestotrotz regulären Start ins Kino geholt hat, konnte ich ihn mir zudem im September auch noch ein zweites Mal anschauen – und auch nach dieser Zweitsichtung war meine Begeisterung ungebrochen. Am nächsten Tag bin ich dann auf die amazon.de-Produktseite gegangen – und ob der zahlreichen überaus negativen Rezensionen traf mich fast der Schlag. Bei der IMDB ist das Bild übrigens kaum besser. In beiden Fällen treibt die zu heilloser Übertreibung neigende Internet-Maschinerie wieder einmal bunte Blüten, und wird der Film von manchen als der schlechteste bezeichnet, den sie je gesehen haben. Angesichts solcher Aussagen kann ich den betreffenden Rezensenten nur zu der vorzüglichen Filmauswahl in ihrem bisherigen Leben gratulieren.

Wohlgemerkt: Es ist ja nicht so, dass ich die kritische Ansicht dahinter nicht verstehen könnte. Aber mir gehen halt diese typischen Internet-Übertreibungen wo alles immer gleich das beste oder schlechteste aller Zeiten ist, ziemlich auf den Wecker. Dennoch kann ich voll und ganz verstehen, wie man dieser Meinung sein kann. "Under the Skin" ist definitiv nichts für jedermann; er ist ein sehr un- und vor allem auch außergewöhnlicher Film, der viele mit seinem schon fast meditativen Stil sowie der Angewohnheit, wenig bis nichts zu erklären, das meiste nur anzudeuten, und vieles auch einfach der Phantasie des Zuschauers zu überlassen, vor den Kopf stoßen wird. Von der Tatsache, dass der Film über keinen nennenswerten Plot verfügt, ganz zu schweigen. Viele Szenen sind sehr ausgedehnt und mögen dem einen oder anderen sinnlos erscheinen – für mich trugen sie allesamt etwas zum Film bei; und sei es nur, dessen Atmosphäre zu verstärken. Gleiches gilt bezüglich des Soundtracks, der ebenfalls sehr speziell ist, und als jemand der auch schon die eine oder andere Filmmusik gehört hat die ihm den Film selbst verdorben hat da ich mir ihr einfach nichts anfangen konnte, fühle ich mit jedem mit, dem es bei "Under the Skin" ebenso erging. Allein: Ich kann zwar auf objektiver Ebene verstehen, wie man all diese Kritikpunkte vertreten kann – teile sie jedoch selbst nicht. Der einzige Grund, warum er von mir (noch) nicht die Höchstwertung bekommt, ist die Tatsache, dass der Film nach einem herrlich mysteriösen Einstieg doch etwas braucht, um Fahrt aufzunehmen, und die Szenen in denen sich Scarlett Johansson nichtsahnende Beifahrer schnappt für sich genommen noch nicht übertrieben packend sind. Das ist aber auch schon der einzige Kritikpunkt, den ich gegenüber "Under the Skin" vorzubringen habe.

Szenenbild. Ich weiß, dass die Inhaltangabe weitaus kürzer ist als das, was ihr üblicherweise von mir gewohnt seid, aber es ist schwer, mehr zu schreiben, ohne zu viel vorwegzunehmen. "Under the Skin" ist wieder einmal einer jener Filme, die man so unvorbereitet wie möglich sehen sollte. Zumal es wie schon erwähnt nun mal auch nicht viel Handlung gibt, die man aufrollen könnte (was im Übrigen nicht gleichbedeutend damit ist, dass im Film nichts passieren würde; das ist in meinen Augen nämlich wiederum definitiv nicht der Fall). Generell möchte ich nicht zu viel über den Film schreiben, einfach da so vieles an ihm von der eigenen Interpretation abhängt. "Under the Skin" ist mehr als einfach nur ein Film – er ist ein Kunstwerk. Und wie jedes Kunstwerk hängt das was man in ihm sieht stark davon ab, mit welchen Augen man es betrachtet. Von der eigenen Persönlichkeit, den Erfahrungen, der Einstellung und so weiter. "Under the Skin" funktioniert wie ein Spiegel: Jeder wird ein bisschen etwas anderes sehen, und was man von ihm mitnimmt wird nicht unwesentlich von dem abhängen, was man mitbringt.

Worauf man sich auf jeden Fall im Vorfeld einstellen sollte ist, dass "Under the Skin" ein Film ist, der wenig bis gar nichts klar ausdrückt und/oder erklärt. Vieles wird nur angedeutet, und gerade auch die Bedeutung einzelner Szenen und Entwicklungen sind letztendlich der Interpretation des Zuschauers überlassen. Insofern verstehe ich eben die vielen negativen Kritiken voll und ganz. Wenn einen der Film von Beginn an nervt, ist man natürlich auch nicht gewillt, dem Film seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken und tatsächlich über ihn nachzudenken. Hier kommt wieder der Spiegel zum Tragen: Wenn ihr genervt hineinschaut, werdet ihr wohl auch nicht viel anderes aus dem Film herausbekommen. Generell lebt der Film weniger von seiner Handlung als der Stimmung, der Atmosphäre, und davon, bestimmte Gefühle zu vermitteln. Zudem steckt er voller Symbolik. Dementsprechend ist "Under the Skin" dazu gedacht, die Phantasie des Zuschauers anzuregen. Es ist ein Film der will, dass man über ihn nachdenkt und seine eigene Interpretation findet. Bei jenen, die der Film schon früh verliert, oder die sich einen geradlinigeren Film á la "Species" erwarten, kann und wird das natürlich nicht funktionieren. Aber: Wenn ihr es so wie ich schaffen solltet, euch auf ihn einzulassen, so steht euch in meinen Augen ein ganz außergewöhnliches und beeindruckendes Filmerlebnis bevor, dass hoffentlich noch lange nachhallen wird.

Szenenbild. Über die Qualität des Films an sich kann man zwar wohl vortrefflich streiten – nicht aber über die visuelle Brillanz, um die Jonathan Glazer "Under the Skin" bereichert. Es gibt optisch einige sehr beeindruckende Szenen, die mir noch lange in Erinnerung geblieben sind. Glazer hat eindeutig ein Auge für eindrucksvolle, imposante und außergewöhnliche Bilder, die den Film an ausgewählten Stellen immer wieder merklich aufwerten. Auch die ungewöhnliche Filmmusik von Mica Levi hat für mich funktioniert, und passte in meinen Ohren auch perfekt zu ihm, da die ungewöhnlichen Klänge den beunruhigend-verstörenden Ton des Films perfekt unterstützten. Eine weitere wesentliche Stärke des Films ist Scarlett Johansson, die in "Under the Skin" eine beeindruckende Leistung zeigt, und glaubhaft das Gefühl vermittelt, dass es sich bei ihrer Figur um ein außerirdisches Wesen handelt. Ihr kalter, distanzierter Blick; die Art und Weise, wie sie ihre (zumindest anfänglich nur gespielten) Emotionen ein- und auszuschalten scheint; ihre oftmals verwirrter Gesichtsausdruck; und vor allem auch in der zweiten Hälfte, während der Transformation, vermag sie absolut zu glänzen.

Ohne zu viel verraten zu wollen möchte ich noch kurz auf ein paar Szenen eingehen, die mir in Erinnerung geblieben sind und/oder mich nach der Sichtung so schnell nicht wieder losgelassen haben. Zuerst einmal seien die grandiosen Sequenzen mit der Falle genannt. Ich bin mir sicher, dass diese für viele zu schräg und seltsam sein werden, aber ich fand sie – nicht zuletzt da sie visuell so interessant umgesetzt waren – einfach nur phantastisch. Unvergesslich ist für mich auch die Szene mit dem Baby am Strand, die mir auch bei der Zweitsichtung noch ungemein nahe gegangen ist. Ein vergleichsweise kleiner Moment, aber für mich dennoch so wichtig, da es einfach so viel über die Figur ausgesagt hat: Die Szene, in der Scarlett Johanssons Figur hinfällt – mehr sage ich dazu nicht, um euch nicht zu viel zu verraten. Gut gefallen hat mir auch, wie uns der Film quasi in ihre Haut schlüpfen lässt, da wir die Ereignisse überwiegend nur aus ihrer Perspektive erleben. Vor allem zu Beginn, als sie mit ihrem Auto durch Schottland fährt und Anhalter aufgabelt, sind wir quasi mit ihr in diesem Auto gefangen – und so wie sie vom Rest der Menschheit isoliert. Hier hilft übrigens auch der O-Ton, in dem die Leute die sie trifft teilweise mit einem derart starken schottischen Akzent sprechen, dass man sich selbst wie ein Außerirdischer vorkommt. Den deutschen Ton habe ich noch nicht ausgetestet, aber ich könnte mir vorstellen, dass dies bei der Übersetzung verloren gegangen ist. So toll einige individuelle Momente zuvor auch waren, mir persönlich gefiel das letzte Drittel ganz klar am besten. Dort gab es für mich auch die meisten und größten Höhepunkte – doch diese genauer zu besprechen, würde leider schon zu viel vorwegnehmen, weshalb ich es bei dieser allgemeinen, oberflächlichen Feststellung belassen will.

Szenenbild. Abschließend möchte ich jetzt noch kurz meine eigene Interpretation des Films präsentieren. Diese ist dezidiert nur für Leute gedacht, die ihn bereits gesehen haben, und die interessiert, wie ihn andere verstanden haben. Wenn ihr "Under the Skin" noch nicht gesehen habt, überspringt daher den Rest des Absatzes, und lest erst wieder beim Fazit weiter. Allen die ihn schon kennen, sei nachfolgend nun meine Interpretation präsentiert, die natürlich keinen Anspruch auf Richtigkeit erhebt: So wie ich den Film verstehe, ist Scarlett Johanssons Figur ein außerirdisches Wesen in unbekannter Mission, dass ganz bewusst von ihrer Beute abgeschottet wird (daher sitzt sie auch ständig nur im Auto), um genau das zu verhindern, was am Ende dann passiert (die laufenden Inspektionen dienen in meinen Augen dazu, zu überprüfen, ob sie eh immer noch kalt und gefühllos ist – eine Art Voight-Kampff-Test, wenn ihr so wollt). Als sie sich eines Tages aus ihrem Auto begibt und von den Frauen in die Bar geschleppt wird, beginnt ein Prozess, der sie zunehmend Faszination und Empathie für die Menschen empfinden lässt. Schließlich flüchtet sie und versucht, menschliche Erfahrungen zu machen – mit tragisch-poetischem Ausgang. Egal ob richtig oder nicht – diese Thematik liegt voll und ganz auf meiner Wellenlänge, was den Film für mich dann noch einmal zusätzlich aufwertet.

Fazit: Ok, Leute, wie lange kennen wir uns jetzt schon? Für mich ist das heuer das mittlerweile achte Advents-Special; aber ich weiß natürlich nicht, wie lange ihr mir schon zulest. Jedenfalls: Wem vertraut ihr mehr? Mir, oder irgend so einem dahergekommenen amazon.de-Rezensenten, der in typischer, heillos übertriebener Internet-Manier "Under the Skin" als schlechtesten Film bezeichnet, den er je gesehen hat? Eben. Also, hopp hopp, DVD und/oder Blu-Ray besorgen, und einen der außergewöhnlichsten Science Fiction-Filme der letzten Jahre erleben! Scherz beiseite: Auch wenn ich die negativen Rezensionen auf amazon und/oder der IMDB in keinster Weise teile, kann ich sie absolut nachvollziehen. Weshalb ich auch meine obenstehende Liebeserklärung an den Film dezidiert nicht als Aufforderung zum Blindkauf missverstanden wissen will. Dafür ist "Under the Skin" schlicht und ergreifend zu speziell, lässt sich einfach nicht vorhersagen, wie er einem gefallen wird. Für mich kann ich allerdings nur festhalten, dass mich der Film nach beiden bisherigen Sichtungen so schnell nicht losgelassen hat, und dies wohl auch in absehbarer Zeit nicht tun wird. Er ist ein beeindruckendes, außergewöhnliches und faszinierendes filmisches Kunstwerk zu dem ich in meinem Leben sicherlich noch häufig zurückkommen werde, und dem man als Science Fiction-Fan auf jeden Fall zumindest mal eine Chance geben sollte – selbst wenn ihr dann letztendlich nichts mit ihm anfangen könnt.

Wertung:9 von 10 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © 2014 Senator Film)


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Weiterführende Links:
Advents-SPECiAL 2014





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