Extrem laut und unglaublich nah
Nicht 100%ig überzeugendes 09/11-Drama Kategorie: Filme - Autor: Christian Siegel - Datum: Dienstag, 21 Februar 2012
 
Oscars 2012

Extrem laut und unglaublich nah
(Extremely Loud & Incredibly Close, USA 2011)
 
Extrem laut und unglaublich nah
Bewertung:
Studio/Verleih: Paramount Pictures/Warner Bros.
Regie: Stephen Daldry
Produzenten: U.a. Scott Rudin, Celia D. Costas & Nora Skinner
Drehbuch: Eric Roth, nach dem Roman von Jonathan Safran Foer
Filmmusik: Alexandre Desplat
Kamera: Chris Menges
Schnitt: Claire Simpson
Genre: Drama
Kinostart Deutschland: 16. Februar 2012
Kinostart USA: 20. Januar 2012
Laufzeit: 129 Minuten
Altersfreigabe: Ab 12 Jahren
Trailer: YouTube
Kaufen: Blu Ray, DVD, Romanvorlage
Mit: Thomas Horn, Sandra Bullock, Max von Sydow, Tom Hanks, Zoe Caldwell, Viola Davis, Jeffrey Wright u.a.


Kurzinhalt: Ein Jahr ist seit dem "schlimmsten Tag", dem 11. September 2011, vergangen, an dem der neunjährige Oskar seinen Vater verloren hat. Als er eines Tages dessen Schrank durchsucht, stößt er in einer Vase auf einen geheimnisvollen Schlüssel. Im Glauben, es würde sich dabei um einen Hinweis für eine jener Suchexpeditionen handeln, die das Lieblingsspiel Oskars mit seinem Vater waren – und ihn dazu zwangen, mit anderen Leuten zu sprechen und so seinen Ängsten zu begegnen – macht er sich auf die Suche nach jenem Schloss, dass von dem Schlüssel aufgesperrt wird. Sein einziger Hinweis: Das Wort Black, welches auf dem Umschlag stand, in dem sich der Schlüssel befand. Er schlussfolgert, dass es sich dabei um einen Namen handeln muss – und beschließt, alle in New York lebenden Blacks aufzusuchen. Schützenhilfe erhält er schon bald vom Untermieter seiner Großmutter – einem kauzigen alten Mann, der seit Jahrzehnten kein Wort mehr gesprochen hat. Gemeinsam begibt man sich auf eine Odyssee durch New York, durch die Oskar dem Tod seines Vaters einen Sinn zu geben hofft…

Review: Auf der Suche nach dem richtigen SchlossTrotz einiger wirklich starker Momente und Szenen empfand ich "Extrem laut und unglaublich nah" als eher durchwachsene Angelegenheit. So ist der Einstieg noch sehr gemächlich und mit einigen Längen behaftet, die sich auch zwischendurch mitunter gelegentlich einschleichen. Der Film war für mich immer dann am interessantesten, wenn sich Oskar auf seine Entdeckungsreise quer durch New York begeben hat, und viele verschiedene Menschen und Einzelschicksale kennengelernt hat – und wir mit ihm. Vor allem, wenn sich der glänzende Max von Sydow ihm nach einer Weile anschließt und man dem zuvor ungemein verschlossenen Oskar nun endlich jemandem zur Seite stellt, dem er seien Gedanken und Gefühle anvertrauen kann – und dadurch auch wir einen besseren Blick in sein Inneres erhaschen können – erwacht dieses Drama so richtig zum Leben. Viele der besten Momente des Films gehen auf die Interaktion der beiden zurück – vor allem ihre erste und letzte gemeinsame Szene, aber auch zwischendurch gibt es viele tolle Szenen.

Auch abseits ihrer gemeinsamen Szenen gibt es ein paar eindringliche, nachhallende Momente. Eine der besten des Films war für mich das letzte Gespräch zwischen Thomas und seiner Frau Linda. Generell ist das letzte Drittel, nach etwas holprigem Einstieg, wohl das beste am Film, mit vielen tollen Szenen; wie z.B. auch jenem Moment, als Oskar sich am Ziel seiner Reise wähnt, erkennen muss das er sich in vielerlei Hinsicht getäuscht hat, jedoch aus dieser Enttäuschung heraus erst recht wiederum Erlösung wächst, als er sich diesem Fremden anvertraut und dadurch Absolution findet. Und auch das Ende des Films, das letztendlich trotz aller Düsternis und depressiven Stimmung zuvor angenehm hoffnungsfroh und versöhnlich ausfällt, als Mutter und Sohn mit ihren Erfahrungen als gemeinsame Basis wieder langsam zueinanderfinden, weiß zu gefallen. Was den ganzen Film hinweg überzeugen kann, sind die schauspielerischen Leistungen. Thomas Horn zeigt hier zwar nicht die beste schauspielerische Leistung eines Kindes aller Zeiten, vermittelt seine sehr komplexe, problemgebeutelte Figur aber sehr natürlich und überzeugend. Dass Oskar an einigen Stellen im Film meine Sympathien schon fast verloren hat (dazu gleich mehr), ist jedenfalls nicht ihm anzulasten. Sandra Bullock gefällt mir hier sogar noch einmal um einiges besser als in ihrer hochgelobten – und auch mit dem Oscar belohnten – Performance in "Blind Side". Max von Sydow ist ebenfalls grandios; da sich seine Figur weigert zu sprechen, muss er deren Emotionen allein durch Mimik und Gestik vermitteln, und schafft dies mit Bravour. Jeffrey Wright hat zwar keine besonders anspruchsvolle Rolle und ist nur in einer Szene zu sehen, diese ist dafür umso bedeutsamer. Viola Davis leistet ebenfalls wertvolle Unterstützung, während Tom Hanks leider wieder einmal "nur" seinen üblichen, typischen durch und durch guten und netten Menschen spielen darf, was ihm zwar natürlich mit bestechender Natürlichkeit gelingt, aber für den Zuschauer keinerlei Überraschungen bereit hält – er liefert einfach "mehr vom selben".

Ein Bild aus glücklicheren TagenWomit wir auch schon den Haken zu den Schwächen des Films geschlagen hätten. Selbst wenn man es sich so erklärt, dass gerade Kinder zu ihren Eltern Eltern – und ganz besonders Söhne zu ihren Väter – immer mit der verklärten, rosaroten Brille aufsehen, oder auch dass man sich natürlich in erster Linie an die schönen Zeiten und die positiven Aspekte von verlorenen Menschen erinnert, war mir Thomas viel zu eindimensional dargestellt. Im Endeffekt hat darunter für mich der Realismus enorm gelitten. Zumindest eine kurze Szene, in der sich in der scheinbar perfekten Schale zumindest der allerkleinste Riss zeigt, hätte "Extrem laut und unglaublich nah" jedenfalls aus meiner Sicht unheimlich gut getan, und wohl bereits gereicht, um diese Hürde annähernd zu umgehen. Eine Kleinigkeit, aber es erscheint mir doch erwähnenswert: So gut ich das Ende grundsätzlich auch fand, aber dass Abby und William Black – wohl aufgrund ihrer Erlebnisse mit Oskar? – wieder zueinander finden, war mir dann doch zu dick aufgetragen; und zudem völlig überflüssig. Und auch der Einstieg war – wie bereits erwähnt – nicht optimal, da doch etwas holprig und zu gemächlich.

Mein größter Kritikpunkt ist aber Oskar selbst. Grundsätzlich sehe ich es ja als durchaus positiv an, wenn ein Film versucht, ein möglichst differenziertes Bild einer Figur zu zeichnen (siehe meine vorherige Kritik an der Darstellung seines Vaters), bzw. eine anstrengende, problemgebeutelte Figur in den Mittelpunkt des Geschehens stellt. Bei Oskar hat man dabei aber aus meiner Sicht teilweise über das Ziel hinausgeschossen. Es gibt einige recht harte Szenen, gerade auch in Bezug auf seine Mutter, wo ich zwar den Mut aller Beteiligten, dies so schonungslos umzusetzen anerkennen kann, die es aber schwer machen, mit Oskar zu sympathisieren – was für den Film grundsätzlich ungemein wichtig wäre, steht er doch in dessen emotionalen Zentrum. Zugleich droht er an einigen Stellen mit seinen Phobien und Ängsten doch auch etwas an den Nerven zu zehren – gerade auch, was den ständigen Einsatz des Tamburins betrifft, der die Gehörgänge mit der Zeit doch etwas in Leidenschaft zieht. Am schwersten wiegt aber für mich, dass es die Tatsache, wie psychisch angeschlagen Oskar bereits vor den Ereignissen des 11. Septembers war, ungemein schwer bis geradezu unmöglich macht, sich mit ihm zu identifizieren. Dadurch wird "Extrem laut und unglaublich nah" leider mehr zu einem sehr spezifischen Charakterdrama, und wirkt der Hintergrund einer so universell bekannten und nachvollziehbaren Katastrophe wie dem 11. September wie ein verzweifelter Versuch, zum Zuschauer dennoch eine Verbindung aufzubauen – so wie es zwischen Oskar und jenen Leuten die er besucht, auch im Film passiert. Für mich eine vertane Chance, den Schrecken dieses Tages erneut auferleben und spürbar werden zu lassen, was allen entsprechenden Momenten, da es doch etwas funktional und "praktisch" wirkt, einen etwas fahlen Beigeschmack verleiht.

Fazit: Oskar's Odyssee"Extrem laut und unglaublich nah" ist – auch wenn die Ereignisse dieses schicksalhaften Tages weite Teile des Films bestimmen – weniger ein 9/11-Drama als die Charakterstudie eines zutiefst problemgebeutelten Kindes, und seinen verzweifelten Versuchen, nicht wieder, sondern vielmehr endlich in ein ansatzweise normales Leben zu finden, und zugleich mit dem Tod seines Vaters fertig zu werden. Leider macht es einem Oskar teilweise etwas schwer, Sympathien zu ihm aufzubauen, vor allem aber, sich mit ihm zu identifizieren; zu spezifisch sind viele seiner Probleme, und zu gewöhnungsbedürftig einige seiner Lösungen (Stichwort Tamburin). Am besten konnte mir persönlich alles rund um seine Odyssee durch New York gefallen, die spannend und sehr abwechslungsreich gestaltet wurde. Generell war das Zusammenspiel von Neuling Thomas Horn und Schauspiel-Veteran Max von Sydow phantastisch, und sorgte für zahlreiche Highlights. Generell bestechen an "Extrem laut und unglaublich nah" in erster Linie einzelne starke Momente und Szenen, während sich im Gesamtbild leider einige Schwächen zeigen. Neben der bereits angesprochenen schwierigen Hauptfigur sind hierzu insbesondere noch die verklärt-romantisierte Darstellung seines Vaters, der recht holprige Einstieg, sowie die teilweise etwas zu sehr auf die Tränendrüse drückende Inszenierung von Stephen Daldry zu zählen. Insgesamt ist "Extrem laut und unglaublich nah", trotz starker Einzelszenen und einiger positiver Aspekte, wohl einer der schwächeren Einträge im diesjährigen Oscar-Rennen.

Wertung:5 von 10 Punkten


Christian Siegel
(Bilder © Warner Bros.)


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Weiterführende Links:
Oscar-Special 2012






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