FollowTheBox #23: Dicebox & Hero
Zwei Webcomics für schaufreudige Reiselustige Kategorie: Kolumnen - Autor: Christina Hansen - Datum: Donnerstag, 10 März 2011
 
ImageEine traumwandlerische Erkundung unsichtbarer Städte und das mühselige Leben intergalaktischer Wanderarbeiterinnen: in den Webcomics Hero und Dicebox geht es, auf die eine oder andere Weise, um Reisen. Ihre Protagonisten sind unterwegs zwischen Planeten oder in surrealen postapokalyptischen Landschaften, auf dem Weg zu sich oder auf der Flucht vor sich. Die größte Entfernung ist in beiden Comics oft die zwischen zwei Menschen (oder menschenähnlichen, übernatürlichen Wesenheiten).

Aus dem Leben des interplanetarischen Wanderproletariats

Dicebox handelt, so Autorin und Zeichnerin Jenn Manley, Lee, von „einem ereignisreichen Jahr im Leben von Griffen und Molly.“ Griffen und Molly haben sich offensichtlich nach dem Prinzip „Gegensätze ziehen sich an“ gefunden. Griffen ist hager, blond, spröde bis bissig-konfrontativ; Molly ist rundlich, schwarz, freundlich, aber auch auf komplizierte Art verschlossen – das Einzige, was die Beiden gemeinsam haben, ist ihr Geschlecht.

Griffen, ein alter Bekannter und Molly

Griffen und Molly sind ein Ehepaar, doch es ist nicht ganz klar, inwieweit ihre Beziehung vielleicht auch der Tatsache geschuldet ist, dass Griffen – aus Gründen, die nur allmählich enthüllt werden – eine Deckidentität braucht. Griffens früheres Leben war ebenfalls „ereignisreich“ und beginnt langsam aber sicher in die Gegenwart herüber zu schwappen.

Dicebox spielt in einer fernen Zukunft, in der die Kosten für die Fortbewegung im All offensichtlich günstig sind, aber die Automatisierung der Industrie noch nicht so weit fortgeschritten ist – ob aus technischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Gründen, läßt Manley Lee offen – dass menschliche Arbeitskraft nicht mehr benötigt wird. Als Resultat hat sich ein interplanetarisches Wanderproletariat herausgebildet, zu dem auch Griffen und Molly gehören. Sie schlafen in Sammelunterkünften, arbeiten in Chemiefabriken, in denen „Arbeitssicherheit“ ein Fremdwort ist und reisen bevorzugt als Bordarbeiterinnen – denn wenn man völlig blank ist, sind auch günstige Weltraumreisen zu teuer.

Straßenszene aus der Welt von DiceboxGriffen und ihre Flucht vor ihrer bewegten Vergangenheit sind, zumindest bisher, die Haupt-Triebfeder des Comics. Auch Molly scheint nur recht wenig über Griffens Leben vor ihrer Beziehung mit ihr zu wissen. Molly selbst ist dabei nicht minder geheimnisvoll. Sie hat beunruhigende Halluzinationen und weicht jeder Frage nach ihrer eigenen Vergangenheit reflexhaft aus.

Griffen wie Molly sind vielschichtige Figuren, deren Stimmen – besonders im Dialog miteinander – lebendig und echt wirken. Die anderen Figuren, mit denen die Autorin ihre detailreiche Welt bevölkert, sind ebenso dreidimensional und das Milieu der Wanderarbeiter wirkt so real, als habe die Autorin jahrelang an ihren Lagerfeuern gesessen und ihren Gesprächen gelauscht. Die Darstellung einer interstellaren Kultur aus dem Blickwinkel der untersten Ränge der Gesellschaft macht Dicebox zu einer ganz besonders ungewöhnlichen und interessanten Erscheinung in der Webcomic-Welt.

Aufgrund des gewissermaßen „sozialistisch-realistischen“ Settings könnte man annehmen, dass Dicebox optisch eher trostlos sein müsse - doch damit läge man falsch. Dicebox ist ein bemerkenswert ästhetischer Comic in meisterhaft aufeinander abgestimmten Pastell- und Erdtönen, im Zeichenstil vielleicht am ehesten mit manchen frankobelgischen Comicalben zu vergleichen. Inzwischen ist auch der Comicverlag Dark Horse auf Manley Lees Talent für den Umgang mit Farben aufmerksam geworden und hat sie als Coloristin für Carla Speed McNeils Finder-Kurzgeschichten in der wiederbelebten Anthologie Dark Horse Presents engagiert.

Auch ein erster Sammelband von Dicebox soll dieses Jahr als Buch herauskommen - im Selbstverlag. Wer die Autorin bei diesem Vorhaben unterstützen möchte, kann den Band (samt diverser Extras) vorbestellen und damit den Druck mitfinanzieren.

Der zweite Teil von Dicebox hat auf der Website gerade begonnen. Insgesamt soll der Comic einmal vier Teile umfassen und damit wirklich Romanlänge erreichen. Wer fürchtet, dass Manley Lee auf dem Weg dahin irgendwann die Puste ausgehen könnte, kann sich damit trösten, dass sie es bisher immerhin gute sieben Jahre geschafft hat, ihr Projekt am Leben zu erhalten. Die Kehrseite der Medaille ist natürlich: wenn das erste Buch sieben Jahre gebraucht hat, dürfen wir erst in circa 21 Jahren mit dem Ende der Geschichte von Griffen und Molly rechnen! Man darf hoffen, dass die Autorin irgendwann einmal weniger Zeit ihrem Brotberuf und mehr ihrem Comicprojekt widmen kann.

Unsichtbare Städte und andere Un-Orte

Das Erste, was einem bei der Lektüre von Hero ins Auge springt, sind die atemberaubenden, an Aquarelle oder auch Acrylgemälde erinnernden Zeichnungen. Die Figuren sind in einem manchmal etwas süßlichen, androgynen Mangastil gehalten, was sicher nicht jedermanns Fall ist, und Autorin und Künstlerin Hwei Lim hat insbesondere zu Anfang die menschlichen Proportionen nicht immer ganz unter Kontrolle. Doch das Gespür, das sie für Komposition, Farben und surreale Landschaften an den Tag legt, ist beeindruckend. Hero ist ein Comic, dessen Bilder schwerelos wirken, mit Farben, die leuchten wie sonst nur im Traum. Um die Leichtigkeit der Bilder nicht zu stören, setzt die Autorin den HTML-Bildbeschriftungscode anstelle von Sprechblasen ein: Die oft umfangreichen Texte erscheinen in einem Kästchen, wenn man die Maus über die Bilder bewegt. Das funktioniert vor allem deshalb, weil Hero nur wenig Dialog enthält. Stattdessen setzt die Autorin einen Erzähler ein, der Dialoge gegebenenfalls indirekt wiedergibt, meist aber eher monologisiert.

Valentine, der Erzähler und the Duck

Hero beginnt, täuschend einfach, in einem kleinen Haus am Meer. Dort lebt der namenlose Protagonist und Erzähler, ein Junge unbestimmten Alters, der sich danach sehnt, die Welt zu sehen, die er nur aus Büchern und Erzählungen kennt. Bald bekommt er Gelegenheit zu der ersehnten Reise, doch ob es sich dabei um eine geographische oder eine metaphysische Erkundung handelt, bleibt offen. Mit seinem Reisegefährten Valentine und dessen Motorrad „Duck“ (eine scherzhafte Abkürzung des Markennamens Ducati), macht er sich auf den Weg, „Städte“ zu entdecken. Nur dass das, was in der Welt von Hero unter „Stadt“ verstanden wird, nicht immer viel mit dem zu tun hat, was wir, die Bewohner einer banaleren Realität, uns darunter vorstellen. Oft scheint es sich vielmehr um Materie gewordene Sinnbilder bestimmter Gemütszustände zu handeln – und wie materiell diese Sinnbilder sind, ist alles andere als eindeutig.

So wie überhaupt wenig in der Welt von Hero eindeutig ist. Valentine zum Beispiel ist nicht immer von menschlicher Gestalt, sein Motorrad ist manchmal ein geflügeltes Höllenviech, und das Wetter ändert sich schon mal von „bedeckt“ zu „wütender weißer Tiger“. Fast nichts und niemand in Hero ist, was es oder er/sie scheint – was auch damit zu tun haben mag, dass die meisten Figuren des Comics keine Menschen, sondern in einen möglicherweise beendeten, vielleicht aber noch vor sich hin schwelenden apokalyptischen Konflikt verstrickte übernatürliche Wesenheiten sind. Das Ganze hat etwas von der Johannes-Offenbarung, gesehen durch einen Zerrspiegel.

Auch Höllenviecher empfinden LiebeSoweit, so typisch mythisch-postapokalyptisch: insbesondere die Mangawelt steckt voller vage an biblische Szenarien angelehnter Kriege zwischen Engeln, Dämonen und dergleichen. Im Fall von Hero gewinnt das jedoch einen ganz eigenen Reiz durch die Perspektive des Jungen, der seine erstaunliche Umwelt und ihre Bewohner mit einer distanzierten Selbstverständlichkeit beobachtet, der jede Ehrfurcht fern liegt. Die Stimme, die die Autorin für ihn gewählt hat, scheint an der poetischen Naivität des Kleinen Prinzen orientiert, und auch thematisch gibt es eindeutige Anleihen bei diesem, in erster Linie das Kreisen um das Thema der Freundschaft.

Diese Erzählstimme schützt den Comic nicht immer vor Ausrutschern. Insbesondere zu Anfang bemüht sich die Autorin gar zu deutlich um einen lyrischen Ton, zielt manchmal ins Symbolische und landet im Kitsch. Dennoch gelingen ihr immer wieder echte poetische Momente. Was aber noch entscheidender ist, ist der trockene Humor, den der junge Erzähler immer wieder an den Tag legt – wie auch die Zeichnung gerade der übernatürlichen Figuren immer wieder ironisch gebrochen ist. So ist z.B. ein mächtiger Kriegsherr, dessen Namen Lord d'Urfe (= Lord of Earth?) Gottähnlichkeit nahelegt, einmal indisponiert, weil er gerade ein Kreuzworträtsel macht, und Valentines geflügeltes, dämonisches Reittier/Motorrad zeichnet sich vor allem durch ein rührend zartes Gemüt aus (und tritt manchmal – materiegewordenes Wortspiel - als watschelnde schwarze Ente auf).

Leider liegt Hero, momentan im elften von fünfzehn vorgesehenen Kapiteln, schon fast ein Jahr brach - wie so viele Webcomics, deren Autoren immer wieder von den Zwängen des "realen Lebens" überwältigt werden. Trotzdem lohnt sich die Lektüre - und wie für jeden Webcomic gilt: die Hoffnung (auf eine Fortsetzung) stirbt zuletzt.
Christina Hansen


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Quellen / Weiterführende Links:
Dicebox Homepage
Hero Homepage
FollowTheBox #12: Die Welt der WebComics
FollowTheBox #16: "Gunnerkrigg Court" & "Templar, Arizona" - Phantastische WebComics
FollowTheBox #17: Rice Boy und Ballad

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